30. August 2023
VdK-Zeitung

Die späten Leiden der Kriegskinder

Viele werden im Alter von traumatisierenden Erlebnissen aus dem Zweiten Weltkrieg heimgesucht

Kinder, die während des Zweiten Weltkriegs geboren wurden und in dieser Zeit aufgewachsen sind, haben oft schwere Traumata erlitten. Im Alter können diese Verletzungen wieder aufbrechen. Psychologin Susanne Guski-Leinwand vom Bundesverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) erklärt, warum das so ist.

Symbolfoto: Alter Mann in Nahaufnahme, er bedeckt das Gesicht mit den Händen, schaut zwischen zwei Fingern hindurch.
© IMAGO / Westend61

Als „Kriegskinder“ werden die Jahrgänge 1929 bis 1947 bezeichnet. Viele haben schreckliche, sogar traumatische Erlebnisse hinter sich. Der Altersforscher Hartmut Radebold schätzt, dass etwa 30 Prozent keine Probleme hatten, diese zu verarbeiten. Während 40 Prozent nichts Belastendes erlebt hatten, wurden weitere 30 Prozent schwer traumatisiert. Der Ukraine-Krieg hat bei vielen Betroffenen die Ängste aus Kindertagen wieder wachgerufen.

Alte Strategien

„Ältere Menschen reagieren nicht mehr flexibel, sondern versuchen, solche Ereignisse mit den Bewältigungsstrategien zu verarbeiten, die sie in ihrem Leben erworben haben“, erläutert Susanne Guski-Leinwand. Viele Kinder hätten damals gelernt, bei Gefahr instinktiv zu handeln. Beispielsweise rannten sie beim Flieger­alarm einfach los bis zum nächsten Luftschutzbunker. Ertönen heute Sirenen, wird diese Verhaltenserinnerung möglicherweise wieder aufgerufen.

Die meisten Angehörigen dieser Generation hatten nach dem Krieg keine Zeit, ihre Verletzungen aufzuarbeiten. Sie mussten hart arbeiten, um Deutschland wieder mitaufzubauen. „Das Anpacken war ihre Bewältigungsstrategie“, so Guski-Leinwand. „Das Bündelchen, das sie aus dem Krieg mitgenommen haben, ist immer mitgereist. Im Alter tritt das jetzt zutage, weil das Langzeitgedächtnis im Vergleich zum Kurzzeitgedächtnis noch gut funktioniert.“ Kommt eine Kriegssituation wie jetzt hinzu, scheine es für sie so, als würden die lange zurückliegenden Ereignisse in der Gegenwart passieren. Insbesondere für Betroffene, die demenzerkrankt oder kognitiv beeinträchtigt sind, sei das eine besondere Belastung.

Dass die Kriegskinder unter der Bombardierung und der Flucht massiv gelitten haben, geriet erst in den 1990er-Jahren ins öffentliche Bewusstsein. Auch der Tod oder die Gefangenschaft des Vaters belastete die Kinder schwer. Je kleiner sie damals waren, desto gravierender können die Spätfolgen sein. Gerade die Jahrgänge 1939 bis 1945, die sich kaum noch an das Kriegsgeschehen erinnern können, haben oft sehr starke Prägungen und Leid erfahren. Viele von ihnen klagen über immer wiederkehrende Depressionen, Panikattacken oder unerklärliche Schmerzen.

„Die Bewältigungsstrategie des Anpackens passt heute nicht mehr auf die aktuelle Situation“, sagt Guski-Leinwand. Viele Ältere blieben mit diesem Problem allein. Nur selten gebe es passende Angebote, wie etwa Gesprächskreise, Lesungen und Selbsthilfegruppen.

Tipps für Angehörige

Angehörigen empfiehlt die Expertin, sich kundig zu machen, was in akuten psychischen Ausnahmesituationen hilft. „Die Betroffenen brauchen eine Verankerung im Hier und Jetzt“, betont sie. Das könne eine haptische Erfahrung sein, wie etwa ein Massageball, ein Reiz oder ein Geschmack. „Das bewirkt, dass man nicht in seiner Erinnerung oder Reaktion verharrt.“

Langfristig könne eine Psychotherapie bei einer Therapeutin oder einem Therapeuten mit gerontopsychiatrischer Erfahrung hilfreich sein. Gute Ansprechpartner sind auch die Hausärztin, der Hausarzt oder eine Sozialberatungsstelle. Aber: „Klären Sie ab, ob sich die betreffende Person überhaupt darauf einlassen möchte“, rät die Psychologin.

Ein Hobby wie Handarbeiten oder Fußballschauen in der Gruppe kann dazu beitragen, sich im Hier und Jetzt zu verankern. Und schließlich eignet sich auch, gute Erinnerungen zu stärken, etwa, indem man gemeinsam Musik hört oder in Foto- oder Poesiealben blättert.

Annette Liebmann


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Schlagworte Krieg | Trauma | PTBS

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