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Alte Menschen gelten oft als besonders weise. Grund dafür ist die Annahme, dass sie mit zunehmenden Erfahrungen vieles im Leben gelernt und verstanden haben. Doch gibt es Altersweisheit wirklich? Professor Dr. Michael Linden, Facharzt für Psychiatrie, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité, hat sich mit der Weisheit befasst.
Bereits seit Jahrzehnten erforschen Wissenschaftler, wie Weisheit entsteht. Die zentrale Erkenntnis: Älterwerden alleine reicht nicht aus. „Weisheit ist eine Fähigkeit, die jeder erlangen kann – unabhängig von seinem biologischen Alter“, sagt Linden.
Im Lexikon der Psychologie wird Weisheit als „das Verstehen und Akzeptieren von Komplexität, Unbestimmtheit, Unterschiedlichkeit und Endlichkeit des menschlichen Lebens“ definiert. Dazu gehört „eine tiefe Einsicht in das Wirkgefüge der Welt, des Lebens und der Gesellschaft sowie eine besonders wertvolle ethisch-moralische Grundhaltung“, die sich nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln zeigt.
Weisheit ist – ähnlich wie Selbstbewusstsein oder Intelligenz – eine komplexe Eigenschaft, zu der ein ganzes Bündel von Fähigkeiten gehört. Linden vergleicht ihr Zusammenspiel mit der Kompetenz, die notwendig ist, um beim Einkauf im Supermarkt eine gute Entscheidung zu treffen: „Wenn ich beispielsweise einen Orangensaft will, muss ich viele verschiedene Faktoren berücksichtigen: Nehme ich einen mit zusätzlichen Vitaminen, ein Bio-Produkt oder den günstigsten? Das Gehirn braucht nur wenige Sekunden, dann greifen wir zur rechten oder linken Packung“, erklärt der Experte.
Zur Weisheitskompetenz zählen das bisher vorhandene Fakten- und Problemlösewissen sowie die Fähigkeit, die Begleitumstände in eine Entscheidung mit einzubeziehen. Auch die eigenen Werte und die der anderen spielen eine Rolle. Zudem ist es notwendig, sich selbst und seine Mitmenschen gut zu kennen und gegebenenfalls die Perspektive zu wechseln: Was würden andere an meiner Stelle machen? Was bedeutet meine Entscheidung für die, die davon betroffen sind? Wie fühlen sie sich?
Wichtig ist auch, seine eigenen Emotionen wahrzunehmen und zu akzeptieren, sie zu steuern und konstruktiv mit ihnen umgehen zu können. Weiterhin sollte man in der Lage sein, Distanz zu sich zu haben und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Hinzu kommt die Fähigkeit, mehrdeutige Situationen und widersprüchliche Handlungsweisen ertragen zu können. Zur Weisheitskompetenz gehört übrigens auch, die Vergangenheit ruhen zu lassen und anderen zu vergeben. Und schließlich spielt die Nachhaltigkeit eine Rolle: Was sind die mittel- und langfristigen Folgen meiner Entscheidung?
„Jeder hat Weisheitskompetenzen, denn jeder ist jeden Tag mit unlösbaren Problemen konfrontiert“, ist Linden überzeugt. Im Alter fällt es aufgrund der Lebenserfahrung leichter, komplexe Situationen und Zusammenhänge zu begreifen. Außerdem neigen ältere Menschen dazu, den Ereignissen mit mehr Gelassenheit zu begegnen. Die Emotionalität nimmt im Lauf des Lebens ab, sodass man sich nicht mehr so leicht von seinen Gefühlen mitreißen lässt.
Weisheit erlangt man dadurch noch nicht. Doch sie lässt sich trainieren. „Viele Volksweisheiten enthalten hilfreiche Tipps“, sagt Linden. Beispielsweise die Redewendung „eine Nacht darüber schlafen“, die empfohlen wird, wenn man eine Entscheidung nicht leichtfertig treffen möchte. Wer sich beispielsweise über eine E-Mail geärgert hat, sollte nicht gleich antworten. „Am nächsten Morgen hat man sich meist schon wieder beruhigt“, so Linden.
Weisheit kann auch bei der Verarbeitung von Ereignissen helfen, die einem ungerecht erscheinen und die im schlimmsten Fall zur Verbitterung führen könnten. „Fast jeder erlebt manchmal Dinge, die nicht mehr gutzumachen sind oder die sich nicht lösen lassen“, erklärt Linden. Dann lohne es sich, die Weisheitskompetenz anzuwenden. Weisheit bedeute nämlich auch, realistisch zu sein. „Wer im Vergangenen steckenbleibt, kann viele gute Lebensjahre verlieren.“
Annette Liebmann
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