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In der Sozialrecht-Beratung beim VdK wird immer wieder deutlich: Der Entlastungsbetrag aus dem Pflegegrad 1 ist derzeit oft keine wirkliche Hilfe
Richard Reimann atmet schwer. Seit 1996 leidet er an einer immer schwerer werdenden arteriellen Herzerkrankung, im Jahr 2015 kam ein chronisches Asthma hinzu. Deswegen hat er den Pflegerad 1 zugesprochen bekommen.Seit dem Tod seiner Frau, die er zu Hause gepflegt hat, lebt Reimann allein in der Berliner Wohnung. Ohne seine beiden Haushaltshilfen, die mehrmals die Woche kommen und für ihn kochen, bügeln und einkaufen, wüsste er nicht weiter. Dieses Arrangement funktioniert sehr gut. Noch besser funktionierte es, wenn er dafür das Budget verwenden könnte, das die Krankenkasse dafür eigentlich vorgesehen hat.
Menschen mit Pflegegrad 1 steht seit Anfang 2017 eine finanzielle Hilfe in Wert von 125 Euro pro Monat zur Verfügung, der sogenannte Entlastungsbetrag, um Personen zu bezahlen, die sie niedrigschwellig unterstützen. Allerdings, und das ist auch das Problem von Richard Reimann, bekommt man dieses Budget nicht ausgezahlt. Es kann nur über einen Pflegedienst abgerechnet werden oder über einen Dienstleister, der von der Kommune anerkannt ist. Auch dann, wenn es nur Tätigkeiten sind, die den Haushalt betreffen.
Nicht nur Richard Reimann hat dieses Problem, auch viele andere Mitglieder haben sich an die Rechtsberatung des VdK (seit dem 1. Januar 2019 als Sozialrechtsschutz gGmbH des Sozialverbands VdK Berlin-Brandenburg tätig) gewandt. „Wir haben immer wieder VdK-Mitglieder in der Beratung, die mit dem Budget in dieser Form nichts anfangen können. Sie versuchen in einen höheren Pflegegrad heraufgestuft zu werden oder beantragen hilfsweise eine Auszahlung des Entlastungsbetrags“, erklärt Rechtsanwältin Petra Wolff, die Reimann und zwei weitere Mandanten in dieser Angelegenheit rechtlich vertritt. Doch überhaupt einen Pflegegrad zu bekommen ist ein schwieriges Thema. Und gegen die Auszahlung sperren die Pflegekassen sich, weil es gesetzlich sehr klar geregelt ist: Ein Spielraum für Auszahlungen ist nicht vorgesehen.
Aber selbst bei Inanspruchnahme eines zertifizierten Anbieters
kann wegen der hohen Kosten – bei der Haushaltshilfe werden hier
rund 30 Euro je Stunde berechnet – zumeist nur ein Bruchteil des
eigentlichen Bedarfs abgedeckt werden. „Freunde und
Bekannte, die die Tätigkeiten für eine symbolische
Aufwandsentschädigung übernehmen und damit einen größeren Teil des
Bedarfs abdecken würden, können nicht vergütet werden“,
erzählt die Rechtsanwältin, „eine Zertifizierung als
Nachweis besonderer Fähigkeiten mag im Falle der Betreuung von
psychisch beeinträchtigen Versicherten unverzichtbar sein. Bei der
Verrichtung bloßer Haushaltstätigkeiten kommt es dagegen vor allem
auf effektive und schnelle Hilfe an.“
Denn der heutige Pflegegrad 1 entspricht mehr oder weniger der
früheren Pflegestufe 0, die ursprünglich für Menschen mit
psychischen Beeinträchtigungen eingeführt wurde. Der
Entlastungsbetrag sollte den pflegenden Angehörigen zumindest
stundenweise eine Betreuung durch Dritte ermöglichen. Diese sollten
dafür über eine entsprechende Befähigung verfügen, weswegen
entsprechende Anbieter eine bestimmte Zertifizierung vorweisen
mussten.
In der Realität ist es heute jedoch oft so, dass gelernte Pflegekräfte die Hauswirtschaft auch mit übernehmen müssen. Das entspricht nicht nur nicht ihrem Stellenprofil, sondern raubt auch Zeit für andere Klienten. Was in der derzeitigen Krise im Pflegebereich doppelt absurd ist, denn die Pflegedienste sind ohnehin überlastet. Gerade in Flächenländern wie Brandenburg ist die Versorgung schwierig, zu wenig zertifizierte Anbieter sind vorhanden. Menschen mit Pflegegrad müssen häufig die Leistungen aus der eignen Tasche zahlen.
„Das ist ein ganz übliches Problem“,
berichtet auch Ariane Rausch, die Leiterin des Pflegestützpunkts
Tempelhof-Schöneberg aus ihrer Beratung und bringt einen weiteren
Aspekt ins Spiel: Die Gesetzgebung schließt jegliche Hilfe von
Menschen aus, zu denen schon vertrauensvolle Kontakte bestehen.
„Das ist aber genau das, was die meist älteren
Menschen brauchen. Sie wollen keine Fremden im Haus, haben oft auch
einfach Angst vor fremden Menschen. Zumal die Pflegedienste nicht
gewährleisten können, dass immer die gleiche Person kommt. Daher
verzichten viele auf das Budget in dieser Form.“
„Der Pflegegrad 1 läuft leer wegen der
Kostenstruktur und des fehlenden Angebots“, resümiert die
VdK-Anwältin Wolff. Die ersten Widerspruchsverfahren wegen der
Auszahlungen laufen bereits. Werden diese abgelehnt, will der VdK
seine Mitglieder auch vor Gericht unterstützen, auch wenn der
eindeutige Gesetzeswortlaut dem eigentlich entgegensteht. Die
Richter sollen überzeugt werden, dass dieses Gesetz so, wie es
jetzt gefasst ist und angewendet wird, seinen Zweck verfehlt.
Sie haben ähnliche Erfahrungen gemacht? Schreiben Sie uns! info-bb@vdk.de
Bettina Kracht
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