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Die stationäre Pflege wird von Jahr zu Jahr teurer, und immer weniger Menschen können das Geld dafür aufbringen. In der ambulanten Pflege gibt es große Versorgungslücken. Wie lässt sich das System reformieren? Um diese Frage ging es bei einer Online-Diskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung Bayern.
Mit dabei war neben Barbara Susec, Pflegeexpertin der Gewerkschaft ver.di, auch Brigitte Bührlen von der WIR! Stiftung pflegender Angehöriger und die Leiterin der Abteilung Sozialpolitik beim VdK Bayern, Claudia Spiegel. Die Veranstaltung moderierte Christian Reischl, Gewerkschaftssekretär im ver.di-Fachbereich Gesundheit und Soziales.
Barbara Susec stellte die derzeitige Situation der stationären Pflege dar. „Jede Verbesserung – bessere Bezahlung, bessere Personalausstattung – geschieht auf Kosten der Heimbewohnerinnen und -bewohner“, erläuterte sie. Das führe in die Pflegearmut. Schon jetzt sei jede/-r dritte Pflegebedürftige nicht mehr in der Lage, die Kosten für die stationäre Versorgung aufzubringen.
Die gesetzliche Pflegeversicherung werde ihrer Funktion, die Menschen abzusichern, längst nicht mehr gerecht. In der privaten Pflegeversicherung hingegen sind die Einkommen wesentlich höher und das Risiko der Pflegebedürftigkeit niedriger. Ein Finanzausgleich zwischen den beiden Systemen, wie er im Koalitionsvertrag 2005 geplant war, wurde nie umgesetzt.
Die Gewerkschaft ver.di fordert einen kompletten Systemwechsel: vom Nebeneinander der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung hin zu einer für alle Menschen einheitlichen Pflege-Bürgerversicherung. Unterstützt wird die Forderung von Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen, der dazu eine Studie erstellt hat.
Um die hohen Heimkosten zu senken, schlägt die Gewerkschaft vor, zusätzlich die Eigenanteile zu deckeln, die Länder zur Finanzierung der Investitionskosten heranzuziehen und versicherungsfremde Leistungen sowie medizinische Behandlungskosten aus der Pflegeversicherung herauszulösen. Künftig sollten alle Einkommensarten beitragspflichtig werden, auch Kapitalerträge.
Von dem Systemwechsel würden alle Bürger profitieren, erklärte Susec: „Zwei Drittel der Arbeitnehmer würden monatlich nur fünf Euro mehr bezahlen, Arbeitgeber hätten Mehrkosten in Höhe von durchschnittlich 25 Euro pro Jahr. Für Privatversicherte fielen die Eigenanteile weg. Und nur noch sechs statt bisher 30 Prozent der Pflegebedürftigen müssten Hilfe zur Pflege beantragen.“
Claudia Spiegel betonte, nicht nur die stationäre Pflege, sondern das gesamte Pflegesystem stehe auf der Kippe. „Wir können nicht mehr so weitermachen“, sagte sie. In Bayern werden 77 Prozent aller Pflegebedürftigen von ihren Angehörigen versorgt. Diese pflegen im Schnitt 8,6 Stunden pro Tag unentgeltlich. Große Erkenntnislücken gibt es hinsichtlich der Kosten, die Pflegebedürftige und deren Angehörige aufwenden müssen. Hilfsangebote sind knapp, es mangelt praktisch an allem: Pflegestützpunkten, Plätzen in der Tages-, Kurzzeit- und Nachtpflege sowie Entlastungsleistungen.
Welche Unterstützung sich die Betroffenen wünschen, hat der VdK nun in einer großen Pflegestudie erfragt, an der sich bundesweit über 60.000 Menschen beteiligt haben, jeder Vierte davon aus Bayern. Erste Ergebnisse sollen im August veröffentlicht werden, berichtete Spiegel. Daraus wird der VdK Forderungen formulieren und an die neue Bundesregierung stellen.
„Schon jetzt ist klar: Die starre Trennung zwischen ambulanter und stationärer Pflege muss aufgeweicht werden“, forderte Spiegel. Die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geplante Pflegereform greife in dieser Hinsicht zu kurz: „Wir hätten uns gewünscht, dass das Pflegesystem grundlegend diskutiert wird.“ Auch müsste die Beteiligung der Kommunen bei der Pflegeversorgung viel stärker thematisiert werden.
Brigitte Bührlen, Vorsitzende der WIR! Stiftung pflegender Angehöriger, beklagte, die häusliche Pflege werde seit der Pflegereform 1994 von der Politik vergessen. Nach wie vor fehle ein finanzieller Leistungsausgleich für den Lohnausfall der pflegenden Angehörigen, und der Rentenanspruch sei sehr gering. Überdies sei es schwierig, Pflege und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren. Denn viele Frauen hätten nun gute Berufe, die sie nicht ohne Weiteres aufgeben möchten.
Einig waren sich alle drei Referentinnen, dass das bisherige Pflegesystem kurz vor dem Kollaps steht, weil es immer teurer wird, obwohl es große Lücken aufweist. „Wir müssen uns überlegen, welche Pflege wir in Zukunft wollen, und wie wir sie organisieren und finanzieren“, so Spiegel.
Annette Liebmann
Schlagworte Pflege | pflegende Angehörige | Pflegesystem | Heimkosten | Versorgungslücken | Friedrich-Ebert-Stiftung | Pflegeversicherung
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