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Eigentlich ist Gerd Enskat schon seit zwölf Jahren in Rente. Doch an drei Tagen pro Woche geht der 75-Jährige in die Arbeit – um die Pflege seiner Frau zu finanzieren. „Ich habe keine andere Wahl“, sagt er.
2005 erlitt Ruth Enskat ein Aneurysma im Gehirn. Sie wurde operiert und kam anschließend in eine Reha-Klinik. Für Gerd Enskat war klar, dass er seine Frau zu Hause pflegen möchte. Er ließ sich wichtige Handgriffe zeigen, stellte im Erdgeschoss des Hauses ein Pflegebett auf und ließ mit Zustimmung des Vermieters eine bodengleiche Dusche sowie einen Treppenlift einbauen. Anfangs holte er Ruth Enskat an den Wochenenden nach Hause. Als sie in der Klinik einen Schwächeanfall erlitt, schwor er sich: „Jetzt lass' ich meine Frau nicht mehr allein.“
Zehn Jahre lang pflegte der Rentner aus Neusäß in Schwaben seine Frau zu Hause. Mit der Zeit gewann diese alte Fähigkeiten wieder, legte kurze Strecken mit dem Rollator zurück, konnte ins Auto einsteigen und sogar die Stufen zum Hauseingang überwinden. Einmal in der Woche brachte Gerd Enskat sie zum Literaturkreis, den sie einst mitgegründet hatte. Und einmal im Jahr ging es in den Urlaub in eine barrierefreie Pension.
2015 erkrankte Ruth Enskat an Diabetes und kam mit Nierenversagen ins Krankenhaus. Gerd Enskat war mit seinen Kräften am Ende. „Ich habe gemerkt, dass es nun nicht mehr geht“, erzählt er. Er meldete seine Frau im Pflegeheim an und hatte Glück – es war zufällig gerade ein Zimmer frei. Ruth Enskat hat mittlerweile Pflegegrad 4. Gerd Enskat besucht sie jeden Abend. „Sie ist immer gut gelaunt und begrüßt mich mit den Worten: ,Biste wieder da?‘“, sagt er.
Untertags geht er nun schon seit vier Jahren wieder in die Arbeit, normalerweise an drei Tagen die Woche, aufgrund eines Jobwechsels zurzeit an fünf. Der Elek troingenieur bekommt zwar eine gute Rente, und auch seine Frau hat eine gesetzliche Altersvorsorge. Das Geld reicht jedoch gerade so aus, um die hohen Pflegekosten zu decken. Der Eigenanteil bei dem Neusässer Pflegeheim liegt mit rund 2072 Euro über dem bundesweiten Durchschnitt von 1930 Euro.
Seine eigenen Lebenshaltungskosten und die Miete finanziert er mit seinem Gehalt, zusätzlich muss er jeden Monat an die gemeinsamen Ersparnisse ran: „621 Euro brauche ich aus den Rücklagen“, rechnet Gerd Enskat vor. „Wenn ich nicht arbeiten gehen könnte, wären unsere Ersparnisse in eineinhalb Jahren aufgebraucht.“
„Gerade für Ehepartner ist die finanzielle Belastung enorm“, kritisiert Enskat. „Während für Kinder von Pflegebedürftigen ein Schonvermögen gilt, muss ich mein ganzes Vermögen opfern, bis am Ende nichts mehr übrig bleibt.“ Und noch eine Rechnung geht für ihn nicht auf: „In den letzten 14 Jahren sind die Pflegekosten um etwa 113 Prozent gestiegen, während die Rente nur um 15,75 Prozent erhöht wurde. Wie soll man das noch bezahlen?“, fragt er.
Auch der Sozialverband VdK kritisiert, dass die Kosten für die Bewohner von Pflegeheimen ungebremst ansteigen. „Es kann nicht sein, dass Pflegebedürftige immer mehr Geld aus der eigenen Tasche für ihre Pflege zahlen müssen“, bekräftigt VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Schon heute bekommt ein Drittel aller Pflegeheimbewohner Sozialhilfe. Es zeigt sich immer wieder, dass wir die soziale Pflegeversicherung dringend und zeitnah reformieren und endlich in eine Pflegevollversicherung umwandeln müssen, die sämtliche Kosten in der Pflege abdeckt und Pflegebedürftige so davor bewahrt, durch die Kosten für ihre Pflege in die Armut abzurutschen.“
Des Weiteren fordert Bentele, dass nicht nur die Kinder der Pflegebedürftigen – wie von der Bundesregierung geplant – entlastet werden, sondern auch die Ehepartner. Gerd Enskat glaubt nicht, dass er das noch erleben wird. Ursprünglich hatte er sich vorgenommen, nur bis zu seinem 75. Lebensjahr zu arbeiten. Nun hat er das Alter hochgesetzt auf 80 Jahre. „Ich sage mir: Junge, du bist ja noch gut drauf und fit im Kopf“, sagt er und lächelt. „Wenn alles gut läuft und ich gesund bleibe, reicht mein Erspartes dann noch acht Jahre.“
Annette Liebmann
Schlagworte Pflege | Rente | Pflegevollversicherung
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