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Mehr als die Hälfte der Heimbewohner erhalten Psychopharmaka. Vor allem Demenzpatienten werden laut dem aktuellen AOK-Pflegereport mit Medikamenten behandelt, die für sie nicht nur ungeeignet sind, sondern sogar gefährlich sein können.
Wenn es in einem Pflegeheim besonders still ist, ist das nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Leider werden viele Heimbewohner regelrecht ruhiggestellt, wenn sie aufgrund ihrer Erkrankung zu Unruhe oder aggressivem Verhalten neigen. Das betrifft besonders Demenzpatienten, stellt das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) im aktuellen Pflegereport fest.
43 Prozent aller demenzkranken Pflegebedürftigen, die stationär versorgt werden, nehmen dauerhaft Neuroleptika, also Mittel gegen krankhafte Wahnvorstellungen, ein. 30 Prozent erhalten Medikamente gegen Depressionen. Diesen großzügigen Einsatz verschreibungspflichtiger Psychopharmaka halten Experten für gefährlich. Zudem sind sie ein Verstoß gegen die Leitlinien zur Demenzbehandlung.
Für die Grunderkrankung der Demenz bringen Neuroleptika ohnehin keinen Nutzen. Schlimmer ist, dass deren Einnahme sogar gefährlich sein kann. Sturzneigung, Gangstörungen, Verwirrtheiten, aber auch ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und Thrombosen nannte die Expertin Petra Thürmann, Professorin für klinische Pharmakologie vom Universitätsklinikum Wuppertal, bei der Vorstellung des AOK-Pflegereports. Deswegen dürften solche Medikamente keinesfalls dauerhaft zum Einsatz kommen. „Spätestens nach zwei bis vier Wochen sollte überprüft werden, ob sie abgesetzt werden können“, erklärt Thürmann. Doch zwei Drittel der Betroffenen erhalten sie länger als ein Jahr.
Ein kritisches Bewusstsein für diese Verordnungspraxis fehlt offenbar: 82 Prozent der Pflegekräfte halten diese für angemessen. Zumeist aus Zeitnot würden mögliche Alternativen wie Beschäftigung oder Bewegungsförderung der Demenzpatienten nicht angewendet.
„Man darf die Schuld nicht bei den Pflegekräften suchen“, stellt VdK-Präsidentin Ulrike Mascher klar. Vielmehr müssten sich Ärzte fragen lassen, weshalb sie bedenkliche Medikamente in diesen Mengen verordnen. Mascher: „Hier geht es schließlich nicht um Baldrian.“
Abhilfe schaffen könnte ihrer Meinung nach das Modell „Arzt im Heim“ oder feste Ärzteteams, die sich um die Bewohner kümmern. Bisher kommen Ärzte nur zu Hausbesuchen ins Pflegeheim. Mascher verweist auf die durchweg positiven Erfahrungen mit diesem Modell: „Wenn ein Arzt seine Patienten tagtäglich sieht und mit Pflegekräften im ständigen Austausch steht, kann er sicherlich besser einschätzen, welche Behandlung die beste ist. Das würde bestimmt auch die Medikamentengaben reduzieren.“
Mehr zum AOK-Pflegereport 2017 (Bestellmöglichkeit und Leseprobe zum Download)
Dr. Bettina Schubarth
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