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Behindertengerechte Wohnungen sind in Deutschland Mangelware. Der Sozialverband VdK fordert die Politik auf, sich endlich stärker darum zu kümmern, damit auch Menschen wie Familie Mammadov eine passende Wohnung finden.
Die Selbstständigkeit endet für Sakina Mammadov vor der Haustür. Alleine kann die 21-jährige Münchnerin die Tür nicht öffnen, und die Klingel erreicht sie nicht. Sie muss immer zu ihrem Handy greifen und ihre Mutter oder ihren Vater in der Wohnung anrufen und bitten, ihr die Haustür aufzumachen. Ist sie mit ihrem Elektrorollstuhl im Wohnzimmer angekommen, muss sie mit Hilfe ihrer Eltern oder anderer vertrauter Menschen in ihren schmaleren Schieberollstuhl gehievt werden. Denn mit ihrem E-Rollstuhl würde sie in keines der anderen Zimmer, egal ob Schlafzimmer, Badezimmer oder Küche, kommen.
Die Wohnung ihrer Familie ist nämlich nicht rollstuhlgerecht. Die Türen der Räume sind zu schmal und die Zimmer zu klein. Allein kann sie sich nur im Ess- und Wohnzimmer bewegen. Doch nicht nur ihr müssen ihre Eltern mehrmals am Tag helfen, auch Sakinas vier Jahre jüngerer Bruder Baba braucht ständig Unterstützung. Wie Sakina leidet er unter Muskeldystrophie (Muskelschwund). Sie verlieren nach und nach ihre Eigenständigkeit.
So kann Baba seit 2007 nicht mehr laufen und seit 2013 auch nicht mehr alleine essen und trinken. Zudem muss er regelmäßig Herz-Lungen-Übungen machen. Da er sich auch nicht selbst im Bett wenden kann, muss sein Vater ihm mehrfach in der Nacht helfen. Um 5.30 Uhr beginnt der Tag: Mit einem Patientenlifter hebt Mubariz Mammadov seinen Sohn aus dem Bett, fährt ihn damit ins Bad und muss wegen der schmalen Tür immer am Rahmen vorbeischrammen. Er setzt ihn auf die Toilette, dann in die Badewanne zum Abduschen. Beim Frühstück muss er seinen Kindern ebenfalls helfen: Brote schmieren, füttern, Tasse anreichen. Um 6.30 Uhr müssen Baba und Sakina fertig sein. Dann werden sie vom Fahrdienst abgeholt und quer durch München zu einer barrierefreien Integrationsschule gebracht. Baba macht dort die mittlere Reife, Sakina Fachabitur.
Nur die neunjährige Sahra, das jüngste der drei Kinder, braucht keine fremde Hilfe. Allerdings lebt auch sie sehr eingeschränkt. In der Vierzimmerwohnung teilt sie sich mit ihrem Bruder ein schmales Zimmer und hat nur ein ausklappbares Bett. Deswegen wünscht auch sie sich eine größere Wohnung. Seit sieben Jahren sucht Familie Mammadov in München nach einer besseren Alternative. „Es ist sehr schwierig, etwas Passendes zu finden“, erklärt Sakina. „Es gibt zwar rollstuhlgerechte Wohnungen. Aber die haben oft nur zwei oder drei Zimmer.“ Die fünfköpfige Familie ist seit Jahren in Kontakt mit den Behörden, hat viele Briefe geschrieben, auch an den Oberbürgermeister – bisher leider ohne Erfolg.
Der Sozialverband VdK fordert Kommunen und Freistaat auf, deutlich mehr für den barrierefreien und altersgerechten Wohnungsbau zu tun. VdK-Landesvorsitzende Ulrike Mascher schlägt vor, beispielsweise die Förderung durch staatliche KfW-Kredite auszubauen. Es müsse nur bald gehandelt werden, da der Bedarf aufgrund der zunehmenden Zahl älterer und pflegebedürftiger Menschen weiter steigt. Nach einer vom Sozialverband VdK 2013 in Auftrag gegebenen Hochrechnung des Pestel-Instituts werden allein in Bayern bis 2030 fast 354.000 barrierefreie Wohnungen benötigt. Sakina hofft, dass ihre Familie bald fündig wird und in ein passendes Zuhause ziehen kann. „Ich will ein selbstbestimmtes Leben führen, ohne auf jemanden angewiesen zu sein.“
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Sebastian Heise
Schlagworte Barrierefreiheit | behindertengerechte Wohnungen | rollstuhlgerecht
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