11. August 2022

„Eigentlich muss ich 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen“

Barbara Servatius pflegt seit zwei Jahren ihre Mutter. | © Mirko Besch

VdK-Mitglied Barbara Servatius pflegt ihre 92-jährige Mutter zu Hause

Barbara Servatius pflegt seit etwa zwei Jahren ihre inzwischen 92-jährige Mutter. Um sie pflegen zu können, hat sie ihren Wohnort Lüdenscheid aufgegeben, ist nach Bayern gezogen und hat im Landkreis Main-Spessart ein Haus gekauft, wo sie mit ihrem Mann und ihrer Mutter nun lebt. Wir sprachen mit ihr.

VdK: Sie haben, um ihre Mutter pflegen zu können, Ihren Wohnort Lüdenscheid aufgegeben und sind nach Bayern gezogen. Das war ein großer Schritt. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

Barbara Servatius: Nach einem schweren Herzinfarkt war meine Mutter nicht mehr mobil, sie konnte nicht mehr alleine leben. Ich war schon immer sehr eng mit meiner Mutter verbunden. Sie hat mir und meinem Mann zum Beispiel viele Jahre in der Buchhaltung unseres Autohauses geholfen. Nun kann ich etwas zurückgeben. Es ist für mich ganz selbstverständlich, sie bis zum Ende des Lebens zu begleiten. Sie soll zu Hause bleiben können.

Ihr Beispiel bestätigt: Die häusliche Pflege ist von großer Fürsorge getragen. Das belegen auch die bayerischen Zahlen der VdK-Pflegestudie. 79 Prozent aller befragten pflegenden Angehörigen sagen, es sei selbstverständlich, die Pflege zu übernehmen. Doch viele muten sich zu viel zu, körperlich, aber auch psychisch. Auch Sie mussten schon mit einigen Erkrankungen fertig werden und beziehen deswegen Erwerbsminderungsrente. An welche Grenzen kommen Sie, Frau Servatius?

Eigentlich muss ich 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen. Das ist manchmal hart. Als Tochter bin ich ihre wichtigste Ansprechpartnerin, das kann auch zu viel sein, zumal sie fremde Personen nur schwer akzeptiert. Vor ein paar Wochen war Mutter auf Reha. Dort hat nichts funktioniert, ich habe ständig mit ihr, den Ärzten oder dem Personal telefonieren und diskutieren müssen. Meine Mutter hat nur geweint, ich habe geweint. Dabei dachte ich, ich hätte auch mal drei Wochen Auszeit, wenn sie auf Reha ist.

Welche Dinge regen Sie im Pflegealltag auf?

Dass wichtige Informationen immer nur tröpfchenweisen kommen: von der Kasse, von der Caritas, vom Medizinischen Dienst. Wer ist für was zuständig? Was steht mir zu? Dass es bei uns einen Pflegestützpunkt gibt, der uns hätte helfen können, war mir nicht bekannt.

Der VdK hilft in der Rechtsberatung und am Pflegetelefon, aber kann auch nicht alles lösen. Das Schlimmste war bisher die vermurkste Reha. Mutter hat Pflegegrad 2, der Medizinische Dienst hat den Antrag für eine Erhöhung auf 3 vorgeschlagen. Die DAK hat meine Mutter auf eine Reha geschickt, um die Höherstufung abzuwenden. Weil die Reha aber eine Sport-Reha für eigentlich fitte Leute war und überhaupt nicht auf einen alten Menschen ausgerichtet war, kam meine Mutter kränker und psychisch fertig zurück. Nicht einmal beim Kofferpacken wollte ihr jemand helfen. Wir haben zu Hause drei Wochen gebraucht, um sie wieder aufzupäppeln nach drei Wochen Reha. Eigentlich bräuchte sie jetzt wirklich Pflegegrad 3.

Es regt mich auf, dass die Kasse keine besseren Angebote hat. Alles ist so bürokratisch und mühsam. Ich weiß nicht, wie das bei Pflegebedürftigen ist, die keine Angehörigen haben, die sich dahinterklemmen. Eine große Hilfe wären Alltagshelfer, und zwar schon dann, wenn die Pflegebedürftigkeit noch gar nicht so ausgeprägt ist. Das würde ich im System gerne verändern.

Was ist positiv?

Im Spessart leben einige Geschwister meiner Mutter, sie liebt diese sozialen Kontakte, es ist viel los bei uns zu Hause. Es war die richtige Entscheidung, wieder nach Bayern zu ziehen.

Einmal in der Woche – am Mittwoch – ist meine Mutter in der Tagespflege. Zuerst wollte sie da nicht hin, weil da ja nur alte Leute sind, fand sie. Mittlerweile freut sie sich, sie ist ja geistig fit, bestimmt dort das Tagesprogramm mit. Am Mittwoch erledige ich gerne Sachen nur für mich, gehe zum Friseur oder setze mich ins Auto, um irgendwohin zu fahren.

Wir beide hatten schon immer eine sehr enge Beziehung, das hat sich nicht verändert. Wenn sie morgen sterben würde, wüsste ich, dass ich alles mit ihr besprochen habe. Meine Mutter nimmt Anteil am Weltgeschehen, wir schauen uns zusammen klassische Konzerte im Fernsehen an. Ich habe ihr versprochen, mich um sie zu kümmern, und das mache ich jetzt. Mein Mann unterstützt mich sehr.

Vielen Dank, Frau Servatius!

Dr. Bettina Schubarth

Schlagworte Pflege | #Nächstenpflege | häusliche Pflege | VdK-Studie zur häuslichen Pflege | Pflegestützpunkt

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