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Mit der Bahn verreisen, das Internet nutzen, zum Arzt gehen – für viele Menschen ist das nicht so einfach, denn sie stoßen dabei oft auf Hindernisse. Das diesjährige sozialpolitische VdK-Forum widmete sich dem Thema „Inklusion ist machbar – eine Gesellschaft ohne Barrieren nützt allen“. Denn von Barrierefreiheit profitieren nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Senioren oder Eltern mit Kinderwagen.
Die zweitägige Veranstaltung fand erstmals in einem weitgehend barrierefreien Hotel in München statt. Zwei Gebärdendolmetscher übersetzten die Redebeiträge der namhaften Experten. „Inklusion ist kein Sonderrecht, sondern ein Menschenrecht“, betonte VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder in seiner Begrüßung. Dies umzusetzen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die ohne verbindliche Fristen und Kontrollen nicht funktionieren werde.
Die aktuelle VdK-Kampagne „Weg mit den Barrieren!“ wolle provozieren, Menschen aller Altersgruppen ansprechen und Veränderungen in Gang setzen. Wörtlich sagte Pausder: „Wir können mit unseren Ortsverbänden gewaltigen Druck aufbauen.“ „Die Inklusion von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ist eine der Kernaufgaben unseres Landes“, stellte die VdK-Präsidentin und bayerische Landesvorsitzende Ulrike Mascher die Position des Sozialverbands klar.
Grundvoraussetzung dafür sei ein inklusives und barrierefreies Bildungssystem von Beginn an. Sie forderte, bei der Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes neben öffentlichen Trägern auch die Privatwirtschaft zur Herstellung der Barrierefreiheit zu verpflichten. Als notwendig bezeichnete Mascher ein bundesweites Gesamtkonzept bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).
Verena Bentele, Bundesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung und Mitglied im Landesvorstand des VdK Bayern, betonte: „Um Barrieren aller Art sichtbar zu machen, braucht es die VdK-Kampagne ,Weg mit den Barrieren!‘.“ Oft seien es die gleichen Hindernisse, denen man immer wieder begegne – keine Informationen in Leichter Sprache, keine Beschriftungen in Braille, fehlende Induktionsschleifen oder Navigationshilfen im Internet und vieles mehr, was echte Teilhabe erschwere. Die Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) sei zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber „mir genügt die Reform so sicher nicht“.
Dass sich die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt in den vergangenen Jahren verbessert hat, bezeichnete Peter Clever, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, als „betriebswirtschaftlich sinnvoll und volkswirtschaftlich notwendig“. Wichtig ist seiner Meinung nach ein Wandel im Bewusstsein der Unternehmen, dass Behinderung nicht eine schlechtere Leistung des Arbeitnehmers bedeutet. Allerdings warnte er davor, Barrierefreiheit auf eine Ebene mit den Menschenrechten zu stellen. Gleichzeitig sprach er sich gegen strenge Gesetze aus. Diese schreckten Unternehmen ab, Beschäftigte mit Behinderung einzustellen. Stattdessen setze er auf das gute Vorbild.
Widerspruch kam von Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung: „Ohne gesetzliche Vorschriften im Detail geht es nicht. Sonst bleibt ein Gesetz immer nur eine leere Hülle.“ Für Prantl ist Inklusion gelebte Demokratie und der Abbau von Barrieren eine demokratische Aufgabe, von der alle profitieren. Um dies zu verdeutlichen, zitierte er aus der Präambel der Schweizer Bundesverfassung: „Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.“ Da das Schicksal Begabungen und körperliche Konstitution ungleich verteilt, sei der Sozialstaat gefragt, um eine „Schicksalskorrektur“ vorzunehmen. Inklusion ist für ihn eine neue „deutsche Einheit“, die gerade erst begonnen habe.
Für Dr. Volker Sieger vom Institut für barrierefreie Gestaltung und Mobilität in Mainz besteht angesichts der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland seit 2009 gilt, enormer Handlungsbedarf, denn: „Die UN-BRK verlangt Zugänglichkeit zu allen Gebäuden, Straßen, Transportmitteln und Kommunikationsdiensten. Sie unterscheidet nicht zwischen öffentlichen und privaten Anbietern.“ Dementsprechend durchwachsen fällt Siegers Bilanz in Sachen Barrierefreiheit aus. Auch die neue Überarbeitung des BGG werde an diesem Zustand wenig verändern, fürchtet er. Sieger bezeichnete es als „Spartengesetz“, weil es vor allem Verpflichtungen für die Bundesverwaltung enthält, dabei finde „99,5 Prozent des Lebens vermutlich außerhalb der Bundesverwaltung statt“.
Prof. Dr. Clemens Dannenbeck hält die bayerische Strategie für die Umsetzung der Inklusion an Schulen bestenfalls für „optimierte Integration“. Es bleibe den einzelnen Leitungskräften überlassen, ob und wie sie Inklusion an ihren Schulen umsetzen. Meist würden nur einzelne Kinder mit Behinderung aufgenommen, die dann als „Inklusionskinder“ bezeichnet werden. Für Dannenbeck ein Widerspruch in sich: „Jedes Kind ist im Idealfall ein Inklusionskind.“ Er forderte mehr Berücksichtigung der Sonderpädagogik in der Lehrerausbildung aller Schularten sowie ein grundsätzliches Umdenken: weg von der Diagnostik und damit der Suche nach Defiziten, hin zu mehr Pädagogik und Förderung im Unterricht.
Für Horst Frehe, ehemaliger Bremer Staatsrat und Aktivist der Behindertenrechtsbewegung der ersten Stunde, ist Inklusion ganz klar ein Menschenrecht. Nicht der Gedanke der Fürsorge dürfe im Zentrum stehen, sondern der der Wertschätzung. Er warnte vor einer „genetisch gereinigten Gesellschaft“, die Behinderung als Makel und Defizit und nicht als Beitrag zur Vielfalt versteht. Teilhabe sieht er deshalb nicht als „bauliches, technisches oder pädagogisches Problem“, sondern als „Ausdruck einer Rechtskultur“. Weiterhin forderte er die Anwendung des Mindestlohns für Beschäftigte in Werkstätten für Behinderte. Haushaltsargumente lässt er nicht gelten: „Teilhabe nach Kassenlage gibt es nicht.“
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bsc/ali
Schlagworte VdK-Forum | Sozialpolitisches VdK-Forum | Inklusion | Menschen mit Behinderung | Barrierefreiheit | VdK-Kampagne zur Barrierefreiheit
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