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Die Lebenserwartung steigt, aber soll und kann auch das Renteneintrittsalter steigen? Beim VdK-Forum 2015 in der Evangelischen Akademie Tutzing stand die Arbeitswelt für Ältere zur Diskussion. Immer noch haben über 50-Jährige auf dem Arbeitsmarkt schlechte Karten. Und die Zahl derer, die aus gesundheitlichen Gründen früher in Rente gehen müssen, wächst.
Die vorherrschende „Altersdiskriminierung in der Arbeitswelt“ müsse erst bekämpft werden, bevor man über eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit diskutieren kann, sagte VdK-Landesgeschäftsführer Michael Pausder in seiner Begrüßung der Teilnehmer des sozialpolitischen Forums des VdK Bayern in Tutzing. „Solange 40 Prozent aller Betriebe keinen über 50-Jährigen beschäftigen, sind Forderungen nach einer Rente mit 68, 69 oder gar 70 völlig realitätsfern“, stellte er klar.
VdK-Landesvorsitzende Ulrike Mascher bestätigte diese Einschätzung und verwies auf die Erfahrungen aus den VdK-Beratungen: „Die meisten Ratsuchenden fragen sich verzweifelt, wie sie überhaupt die jetzige Rentenaltersgrenze erreichen sollen.“ Denn die meisten 64-jährigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind Hochqualifizierte. Und das genau sind diejenigen, die über einen späteren Rentenbeginn nachdenken. Sie forderte eine ehrliche Diskussion über flexiblere Rentenübergänge, die auch weniger privilegierte Menschen mit einbezieht. Eine Teilrente ab 60 Jahren sei grundsätzlich ein möglicher Ansatz.
Von einem „Doppelgesicht“ der Arbeit sprach Prof. Dr. Kerstin Jürgens, Leiterin des Fachgebiets Mikrosoziologie an der Universität Kassel. Das Brotverdienen sei einerseits mühsam. Andererseits können sich viele Menschen in ihrer Arbeit verwirklichen und sind in eine Gemeinschaft eingebunden. „Erwerbsarbeit bis zur Rente und darüber hinaus wird heutzutage als sinnstiftend erlebt und hat eine positive Wirkung auf das Selbstwertgefühl“, betonte Jürgens.
Die Mitarbeiter müssten jedoch viele Herausforderungen meistern: hoher Leistungsdruck, Selbstausbeutung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine geringe Wertschätzung mancher Tätigkeiten, etwa in der Pflegebranche. „Die starke Fixierung auf die Erwerbsarbeit und die Tendenz zur ständigen Selbstoptimierung machen mir Sorgen“, so Jürgens.
Christoph Ehlscheid, Leiter der Fachbereiche Sozialpolitik, Arbeitsgestaltung und Qualifizierungspolitik bei der IG Metall, nahm den wachsenden Druck für die älteren Arbeitnehmer in den Blick. Vor allem psychische Erkrankungen nehmen zu. „Wir brauchen eine Anti-Stress-Verordnung als Gegenstück zu den Arbeitsschutzregeln in Bezug auf körperliche Belastungen“, forderte der Gewerkschafter. Zudem müsse ein flexiblerer Übergang in die Rente ermöglicht werden. Ehlscheid stellte jedoch die „Flexi-Rente“ in Frage. „Der Begriff ist irreführend“, betonte er. Es könne dadurch ein neuer Arbeitssektor entstehen: die „billigen Alten“. Ehlscheid plädierte für ein Recht auf Ruhestand im wörtlichen Sinn. „Niemand sollte gezwungen sein, länger zu arbeiten.“
Dr. Uwe Gaßmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Arbeitgeberverbände energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmungen (VAEU) Hannover, bewertete die aktuelle Arbeitsmarktlage wesentlich positiver als seine Vorredner. „Die Erwerbstätigkeitsquote hat sich deutlich erhöht. Vor allem die Frauen haben aufgeholt“, so Gaßmann. Zudem verzeichnete er einen Rückgang bei der Krankheitsquote, den Arbeitsunfällen und den vorgezogenen Renten wegen gesundheitlicher Einschränkung. Beim Thema Gesundheit nahm er den einzelnen Mitarbeiter in die Pflicht. „Arbeit ist nur ein Teil des Lebens, deshalb ist man für seine Gesundheit auch persönlich verantwortlich.“
Über einen Wandel am Arbeitsmarkt berichtete Dr. Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg Essen. So hat sich seit 2002 das durchschnittliche Erwerbsaustrittsalter kontinuierlich erhöht. „Es gibt kaum einen Prozess auf dem Arbeitsmarkt, der so massiv abläuft wie der Anstieg der Erwerbsbeteiligung im Alter“, bilanzierte der Soziologe. Dennoch sei die „Rente mit 67“ immer noch „der Idealfall“, betonte Brussig. Er bemängelte, dass es keine Möglichkeit für einen gestuften Übergang in die Rente gibt, obwohl das Interesse daran groß wäre.
Heribert Engstler vom Deutschen Zentrum für Altersfragen berichtete, dass immer mehr Menschen im Ruhestand erwerbstätig sind. Seine Forschungsergebnisse besagen, dass die meisten Senioren arbeiten, weil sie Spaß daran haben, sich eine Aufgabe und mehr Kontakte zu anderen Menschen wünschen. Allerdings gaben etwa 40 Prozent der Befragten auch Kostengründe an. Doch nur selten stecke finanzielle Not dahinter, so Engstler. Das Leitbild des „aktiven Alterns“, so warnte er, dürfe jedoch nicht dazu führen, dass Erwerbstätigkeit im Rentenalter „als neue Säule der Alterssicherung“ betrachtet werde.
Katrin Gül vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung hat untersucht, wie Personalpolitik für alternde Belegschaften gestaltet sein sollte. Insgesamt gehe es darum, das Unternehmen näher an den Alltag seiner Mitarbeiter zu bringen – in allen Lebensphasen. Gerade in der „Rushhour des Lebens“ zwischen 30 und 45 Jahren passiere besonders viel, weil sowohl die beruflichen als auch die privaten Weichen gestellt werden. Dies ließe sich entzerren, wenn es auch Karrieremodelle für spätere Altersphasen gebe, so Gül. Denn nach dem 45. Lebensjahr gehe meist nur noch wenig vorwärts. „Man kann nicht 22 Jahre lang auf die Rente warten“, betonte Gül.
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ali/ant/bsc
Schlagworte Forum Tutzing | Rente | Renteneintrittsalter | Lebenserwartung | Arbeitsmarkt | Rentenbeginn | Flexi-Rente | Rentenübergang | Altersdiskriminierung | Teilrente
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