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Müde, schlapp und ohne jede Energie – so äußerst sich zunächst das chronische Erschöpfungssyndrom (ME/CFS), das mit kognitiven Störungen und starken Schmerzen einhergeht. Vermutlich lösen verschiedene Infektionen die Erkrankung aus. Mittlerweile ist klar: ME/CFS kann auch nach einer Corona-Infektion auftreten. Celine Ritter aus Westerheim leidet an ME/CFS. Seit mittlerweile acht Jahren ist sie regelrecht ans Bett gefesselt. Ihre Mutter hofft, dass sich durch COVID-19 endlich mehr Ärzte, Politiker und Wissenschaftler für die Erkrankung interessieren.
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Vorurteile bestimmen Susanne Ritters Alltag. Mit elf Jahren erkrankte ihre Tochter am chronischen Erschöpfungssyndrom, auch Myalgische Enzephalomyelitis (ME) oder Chronic Fatigue Syndrom (CFS) genannt. Das ist mittlerweile acht Jahre her. Inzwischen ist Celine volljährig, dauerhaft im Pflegegrad 2 eingestuft und hat mehr oder weniger gelernt, mit ihrer Erkrankung zu leben. Ihr Zimmer ist immer verdunkelt, denn Sonnenlicht ist für sie nur schwer zu ertragen. Bei Spaziergängen im Freien trägt sie eine extra dunkle Sonnenbrille. 2015 musste Celine die Schule verlassen, da war sie gerade in der 7. Klasse. Am Anfang versuchte sie noch, sich mit ihren Klassenkameraden zu treffen. Doch irgendwann wurde auch das zu anstrengend.
ME/CFS ist zwar eine anerkannte Krankheit, jedoch bisher nur wenig erforscht, obwohl laut Schätzungen rund 0,5 Prozent der Bevölkerung darunter leiden. Daher kennen sich nur wenige mit der Erkrankung und ihren Symptomen aus. Das trifft auch auf wichtige Anlaufstellen zu. Auseinandersetzungen mit Ämtern stehen für Frau Ritter daher auf der Tagesordnung. Ärzte warfen ihr vor, ihre Tochter nicht richtig zu motivieren: „Wir sind doch alle müde“ bekam sie beispielsweise zu hören.
Auch das Jugendamt spielt natürlich mit – solange, bis Celine volljährig ist. Auch als junge Erwachsene bis zu 27 Jahren will das Amt mitbestimmen. Das wurde gerichtlich und mit einem psychologischen Gutachten dann jedoch untersagt. Der ständige Kampf könnte der Vergangenheit angehören, wenn ME/CFS endlich als schwere, körperliche Erkrankung anerkannt wird. Deswegen wandte sich Frau Ritter schließlich an den VdK-Landesverband Baden-Württemberg: „Jede Möglichkeit, Aufmerksamkeit für ME/CFS zu generieren, hilft uns weiter!“. Denn die Odyssee wird weitergehen, bis Ärzte in Deutschland endlich mehr über die Erkrankung aufgeklärt werden und lernen, die Symptome richtig zuzuordnen.
Das Problem dabei: Für Studien, die sich mit ME/CFS befassen, werden meist nur moderate Fälle herangezogen. Schwerwiegende Fälle sind den meisten Ärzten daher gar nicht bekannt. Celine leidet zum Beispiel unter fast allen Symptomen und Dysfunktionen, die mit der Erkrankung einhergehen. Diese betreffen Gelenke, Muskeln, Nerven und Organe, wie etwa Herzrhythmusstörung, Koordinationsprobleme, Muskelschwäche sowie Mühe beim Atmen.
Deswegen muss Celine einen Rückengurt tragen. Er hilft dabei, die inneren Organe an der richtigen Stelle im Körper zu halten. An langes Sitzen ist kaum zu denken. Die meiste Zeit des Tages liegt sie im Bett, lässt sich Bücher vorlesen, schaut Video-Filmclips oder hört Musik. Die ständige Isolation kann schnell zur psychischen Belastung werden und sollte auch als Zusatzerkrankung zu ME/CFS behandelt werden. Sehr oft wird hier jedoch auf eine psychische Erkrankung umgeschlüsselt – statt bei der Diagnose ME/CFS G 93.3 zu bleiben.
Bis jetzt gilt ME/CFS noch als unheilbar. Nur die Symptome können behandelt werden. Pacing Energiemanagement heißt das Zauberwort. Das bedeutet: Auf den eigenen Körper hören und nur machen, was die vorhandene Energie zulässt – ohne drei Tage eine Verschlechterung des Allgemeinzustands zu verspüren.
Die Charité hat sich mittlerweile der Erkrankung angenommen. Teilweise finden Online-Seminare zu ME/CFS für Ärzte statt. Doch die Teilnehmerzahl ist begrenzt und so wird es sicher noch etwas dauern, bis das medizinische Fachpersonal flächendeckend fortgebildet ist.
Im Nachbarbundesland Bayern sieht es bereits etwas anders aus als in Baden-Württemberg. So gibt es dort, beispielsweise in Augsburg, mehr anerkannte Fälle – und der Fokus wird mehr daraufgesetzt, ein gutes Versorgungskonzept zu entwickeln. Das Uni-Klinikum Erlangen bietet Forschungsvorträge zu ME/CFS an, und verfügt somit auch über Ärzte, die sich mit der Erkrankung auskennen. In Baden-Württemberg ist das leider nicht so, auch zum Leidwesen von Frau Ritter: „Wenn man zu einem Arzt will, bekommt man nur als privatversicherte Selbstzahler einen Termin oder es ist völlig überlaufen.“
Deswegen hat Frau Ritter Anfang Januar 2020 eine Selbsthilfegruppe in Ulm gegründet, deren Treffen aktuell via Online-Meeting stattfinden. Zusätzlich finden nun auch noch extra für Eltern mit erkrankten Kindern bis 27 Jahre im ersten Sonntag des Monats Online-Meetings statt. Außerdem hat sie sich dem Bundesverband Chronisches Erschöpfungssyndrom Fatigatio e.V. angeschlossen. So möchte sie Betroffenen und ihren Angehörigen helfen, mit ME/CFS zu leben – und natürlich auch, den Fokus auf diese Erkrankung erhöhen, ihr endlich Gehör verschaffen.
Den Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind, will sie auch mit ihrem Buch „Eine Erkrankung mit schwerem Gepäck“. In Tagebuchform beschreibt sie ihren Alltag und, was sie mit Jugend- und Gesundheitsämtern sowie im Umgang mit Kliniken und Ärzten erlebt hat. „Damit andere erfahren, was man als Elternteil durchmacht und wie sehr man für sein Kind kämpfen muss“, erklärt Frau Ritter. Das Buch erscheint im Sommer.
Die Coronavirus-Pandemie hat die kleine Familie bisher gut überstanden: „Wir kommen ja kaum raus und sind immer unter uns, das minimiert die Ansteckungsgefahr.“ Frau Ritter verbindet aber auch Hoffnung mit dem Coronavirus. „Dass endlich mehr Zeit und Geld in die Forschung gesteckt wird“, denn gerade junge Menschen leiden nach einer überstandenen Corona-Infektion an den typischen Symptomen und werden nicht mehr gesund.
Wenn die Pandemie beendet ist, wird sich für Frau Ritter und ihre Tochter jedoch nicht viel ändern und ergänzt: „ME/CFS-Patienten sind auch danach weiterhin isoliert und können nicht rausgehen. Für alle anderen wird es nach Corona normal weitergehen, unsere Situation wird bleiben. Aber hoffentlich hilft Corona dabei, dass ME/CFS endlich als Krankheit in Deutschland anerkannt wird!“
Selbsthilfegruppe CFS – ME
Susanne Ritter
Beratung:
Montag und Dienstag: 10 bis 12 Uhr
Telefon: 07333 95 01 96
Selbsthilfebüro KORN e.V.
Telefon: 0731 88 03 44 10
Weitere Informationen gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V.
R. Schwarz
Schlagworte ME/CFS | Erschöpfungssyndrom
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Britta Bühler
Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V.
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E-Mail: b.buehler@vdk.de
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