2. November 2020
    INTERVIEW

    AOK: „Ein Lockdown im Heim ist nicht mehr notwendig!“

    Die VdK-Zeitung sprach mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse über das Coronavirus und die erforderlichen Maßnahmen in den Pflegeheimen von Baden-Württemberg. Bereichsleiter Andreas Schmöller im Interview.

    Andreas Schmöller
    Andreas Schmöller | © AOK Baden-Württemberg

    Im weltweiten Vergleich hat Deutschland weniger Covid-19-Tote, weniger Erkrankungen und weniger mit dem Sars-CoV-2-Virus infizierte Menschen. Gleichwohl hat die Corona-Krise Bund und Land weiterhin im Griff. Vielen Menschen, insbesondere den Älteren, Pflegebedürftigen sowie den Menschen in stationärer Pflege wird nach wie vor einiges abverlangt.

    Sehr belastend war die Situation vor allem für die rund 100.000 Heimbewohner im Lande, die während des Lockdowns im Frühjahr monatelang weder ihre Einrichtung verlassen, noch Besuch empfangen durften. Auch die Menschen, die rund 11.500 Plätze der Tagespflege nutzen, konnten diese wichtigen Betreuungs- aber auch Angehörigen-Entlastungsangebote nicht nutzen. Die VdK-Zeitung sprach mit Andreas Schmöller, Fachbereichsleiter „Rehabilitations- und Pflegemanagement“ der AOK Baden-Württemberg, über die Krise.

    VdK-Zeitung: Die Corona-Pandemie stellte im Frühjahr die Menschen vor nie gekannte Herausforderungen mit ebenso fundamentalen Folgen, die uns noch lange beschäftigen werden. Das Gesundheitswesen wurde einem Stresstest unterzogen. Und doch haben wir bislang alles glimpflich überstanden. Wie bewerten Sie das Corona-Geschehen?
    Schmöller: Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei, die kritischen Herbst- und Wintermonate stehen bevor. Dennoch habe auch ich den Eindruck, dass wir – insbesondere mit Blick auf Gesundheit und Pflege – in Deutschland bisher recht gut durch die Corona-Zeit gekommen sind. Jedoch zahlen Pflegebedürftige und deren Angehörigen in der Pandemie einen hohen Preis. Das Urteil darüber werden die Betroffenen vermutlich differenzierter fällen.

    Sie verantworten bei der AOK-Baden-Württemberg die Themen Rehabilitation und Pflege, sind aber als Systemiker bekannt, der weiter schaut. Ist systemisch richtig gehandelt worden und wurden die zentral wichtigen Angebotsstrukturen richtig angepackt?
    Beeindruckt hat mich das schnelle Handeln des Gesetzgebers. Hervorheben möchte ich insbesondere die Umwidmung von Rehakliniken zu Behelfskrankenhäusern und Kurzzeitpflegeeinrichtungen. Dass die Rehaeinrichtungen eine Aufwertung erfahren und auch Kurzzeitpflege erbringen können, ist der AOK Baden-Württemberg schon lange ein wichtiges Anliegen. Wir waren sehr schnell gut aufgestellt. Handlungsbedarf sehe ich dennoch beim weiteren Ausbau der Kurzzeitpflege insbesondere nach Klinikaufenthalten.

    Mit den Corona-Nachrichten konfrontiert, blieben im Frühjahr viele Menschen wochenlang zuhause und hatten keine Ahnung, wie es für sie weitergeht. Was hat die AOK hier konkret unternommen?
    Während des Lockdowns zahlten Pflegebedürftige und Angehörige einen hohen Preis. Die AOK Baden-Württemberg hat gleich Anfang April die Frage gestellt, was mit den pflegebedürftigen Menschen passiert, die von osteuropäischen Unterstützungskräften betreut werden und die rasch in ihre Heimatländer gefahren sind. Die AOK-Pflegeberater haben 10 000 Pflegebedürftige zuhause angerufen und Unterstützung angeboten. Vieles konnte telefonisch geklärt werden, wir konnten zuhören und Hilfe anbieten. Es zeigte sich aber auch, dass wir in 500 Versorgungssituationen bei der Neuorganisation der Pflege helfen mussten.

    In Heimen war Personal vor Ort, das den Bewohnern zur Seite stand. Es war den Profis aber nicht möglich, Besuch von Verwandten zu ersetzen, denn im Lockdown waren die Heimtore zu. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?

    Es wird nur schwer möglich sein, Pflegebedürftige vor Corona zu schützen und sie dabei nicht vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen. Es wurde in Kauf genommen, Selbstbestimmung und Teilhabe einzuschränken. Das darf aber so nicht wieder passieren. Und es ist auch nicht notwendig! Wir müssen auf professionelle und kreative Lösungen setzen, mit den Gefahren umzugehen. Man darf auch auf die Expertise erfahrener Pflegefachleute vertrauen. Heute wissen wir zum Glück schon mehr und ich hoffe, dass es künftig gelingen wird, in diesen besonderen Zeiten vielfältige Zugänge zu den pflegebedürftigen Mitmenschen zu schaffen – natürlich auch unter Nutzung der digitalen Möglichkeiten. Da darf der Gesetzgeber ruhig noch etwas nachlegen und die Praktiker als Berater einbeziehen.

    Was auffällt: In Baden-Württemberg war das Infektionsgeschehen sehr hoch – wenn auch nicht überall. Gleichwohl kam nie Panik auf. Haben Sie dafür eine Erklärung?
    Gleich Mitte März war allen Verantwortlichen in der Pflege klar, dass man an einem Strang ziehen müsse. Nur wenn wir von den Problemen vor Ort sofort erfahren, können wir schnell und unkompliziert Lösungen finden. Denn, mit Gesetzen allein ist es nicht getan! Die Fragen kommen bei deren Anwendung. Und die betrafen die Versorgungssituation, die Rettungsschirme in der Pflege sowie die Sorgen und Nöte der Pflegerinnen und Pfleger im Lande. So wurde in der AOK Baden-Württemberg eine „AG Krisenmanagement“ initiiert. Dort waren die Pflegeleistungserbringer, die Pflegekassen, die kommunalen Spitzenverbände und das Sozialministerium vertreten. Die Zusammenarbeit war einmalig und hat bewiesen: Wenn’s drauf ankommt, stehen wir alle zusammen und kommen gemeinsam zu Lösungen.

    Presse
    Landesvorsitzender des Sozialverbands VdK Baden-Württemberg Roland Sing.
    Der Sozialverband VdK Baden-Württemberg verlangt seit Jahren die finanzielle Entlastung der Heimbewohner. Der Landesvorsitzende Roland Sing mahnt nun erneut die Übernahme der Investitionskosten an.

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