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Psychische Leiden, insbesondere Depressionen, Angststörungen und Demenz, gehören in allen Altersgruppen zu den häufigsten Gründen für gesundheitliche und soziale Einschränkungen. Neben dem Leid von Betroffenen und Angehörigen belasten psychische Erkrankungen zunehmend alle sozialen Sicherungssysteme.
„Es braucht eine transparente kontinuierliche Überprüfung der Ergebnisqualität psychotherapeutischer Behandlungen.“
Dr. Peter Schwoerer
Die Behandlung erfolgt weitgehend unkoordiniert durch Hausärzte (75 Prozent), Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie (17 Prozent) und Psychologische Psychotherapeuten (5 Prozent). Die ambulante Betreuung älterer, sozial benachteiligter oder schwer erkrankter Patienten wird unter anderem durch mehr als sechs Monate dauernde Wartezeiten auf einen Therapieplatz erschwert oder gar verhindert. Selbst nach stationärer Behandlung seelischer Erkrankungen findet sich oft kein ambulanter Therapieplatz, um die kontinuierliche Weiterbehandlung sicherzustellen. Darüber hinaus gibt es immer weniger zur psychosomatischen Grundversorgung (Definition siehe Kasten) befähigte und bereite Hausärzte. In Baden-Württemberg betraf dies rund 200 Praxen in den letzten zwei Jahren. Das gefährdet die erreichbare ambulante Versorgung. Darüber sprach die VdK-Zeitung mit Dr. Peter Schwoerer. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und wirkt unter anderem als beratender Arzt im Sozialverband VdK Baden-Württemberg.
VdK-Zeitung: Welche psychischen Erkrankungen sind am meisten verbreitet? Welche Symptome zeigen sich häufig?
Dr. Peter Schwoerer: Neben Angst- und Suchterkrankungen stehen die sogenannten affektiven Störungen und hier insbesondere die „Unipolare Depression“ ganz im Vordergrund. Phasen der Trauer und der Niedergeschlagenheit gehören zum menschlichen Dasein und bedeuten noch nicht eine Erkrankung. Treten jedoch gedrückte, depressive Verstimmung ganztägig und länger als zwei Wochen auf oder erlöschen Interesse und Freude an wichtigen Aktivitäten wie Hobbys und Kontakt zu Mitmenschen, gegebenenfalls kombiniert mit vermindertem Antrieb und schneller Ermüdung, so kann dies eine Depression sein.
Was sind Gründe für steigende Patientenzahlen?
Die objektive Verschlechterung der Lebensbedingungen vieler Menschen, verbunden mit dauernder Belastung durch mediale Übermittlung negativer Entwicklungen in Umwelt, Wirtschaft und Politik, begünstigen bei dafür veranlagten Menschen den Ausbruch von Depressionen und Ängsten. Aber: Es muss auch der Verlust einer klaren Unterscheidung zwischen echter Krankheit und Befindlichkeitsstörung durch eine willkürliche Ausweitung des Krankheitsbegriffs durch materiell interessierte Behandlergruppen in Betracht gezogen werden.
Kommen psychische Erkrankungen bei bestimmten Personen- oder Altersgruppen, Männern oder Frauen häufiger vor?
Die von Ärzten, Krankenkassen und Wissenschaftlern gemeinsam erstellte Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression und die Fachliteratur sprechen davon, dass Frauen, ältere Menschen und bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Migranten häufiger von Angststörungen und Depression betroffen sind. Auch anfälliger sind Personen, die beispielsweise an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus leiden. Man spricht hier von Komorbidität.
Wohin sollen sich insbesondere gesetzlich versicherte Erkrankte wenden, die ärztlichen Rat, Behandlung und Therapie benötigen?
Seelische Erkrankungen treten in einem hohen Prozentsatz kombiniert mit körperlichen Erkrankungen auf. Daher empfehle ich als erste Ansprechpartner Hausärzte und Internisten mit ausgewiesener Kenntnis der psychosomatischen Grundversorgung sowie Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die die gesamte Breite der Diagnostik und der Therapie von der medikamentösen Therapie bis zur Psychotherapie beherrschen. Entsprechend dem Rat dieser ärztlichen Fachgruppen sollte gezielt psychotherapeutische Versorgung – insbesondere Psychotherapie auf der Basis gesicherter Erkenntnisse, wie beispielsweise Verhaltenstherapie – angestrebt werden. Neben ärztlichen Ansprechpartnern gibt es auch Patienteninformationssysteme wie den VdK-Kooperationspartner „IQWiG“ (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen). Die gesicherte Patienteninformation des IQWiG, die man über www.gesundheitsinformation.de abrufen kann, ermöglicht Vielen ihre persönliche Lage einzuschätzen. Darüber hinaus gibt es die VdK Patienten- und Wohnberatung Baden-Württemberg. Und sollten Therapieplatz oder ärztliche Betreuung nicht erreicht werden, so empfiehlt es sich, über den VdK an Kassenärztliche Vereinigung oder Krankenkasse heranzutreten, um den Patientenanspruch auf adäquate Behandlung durchzusetzen.
Ganz überwiegend werden Betroffene ambulant durch Hausärzte versorgt, des Weiteren von spezialisierten Fachärzten und Psychologischen Psychotherapeuten. Was sind die Ursachen für lange Wartezeiten?
Die Ursachen sind vielfältig. Die Zahl der zur psychosomatischen Behandlung qualifizierten Hausärzte geht zurück. Deren Arbeitsbedingungen – und die der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie – haben sich durch eine von Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung getroffene Beschränkung der Möglichkeiten, Patientengespräche zu führen, drastisch verschlechtert. Dabei ist das Arzt-Patienten-Gespräch die Grundlage der Behandlung seelischer Krankheiten. Die psychologischen Psychotherapeuten arbeiten vielfach nur in Teilzeit und sind so für die Patienten nur beschränkt erreichbar.
Der VdK-Landesverband hält die alleinige Erhöhung der Zahl der Psychotherapeuten nicht für zielführend, um die Lage der gesetzlich versicherten Patienten nachhaltig zu verbessern. Vielmehr schlagen wir vor, ambulante Versorgungsstrukturen zu optimieren, um Abhilfe zu schaffen. Was meinen Sie?
Meines Erachtens muss der Gesetzgeber zeitnah Folgendes umsetzen: Eine Neuordnung der Strukturqualität, beispielsweise Verhinderung von Kleinpraxen mit minimalen Patientenzahlen; Pflicht zur Behandlung einer Mindestzahl schwer kranker Patienten pro Therapeut; Verbesserung der Prozessqualität, insbesondere die Beschränkung der Psychotherapie auf ausschließlich glaubwürdig und wissenschaftlich nachvollziehbar in ihrer Wirkung gesicherte Therapieformen. Und last but not least braucht es eine transparente kontinuierliche Überprüfung der Ergebnisqualität psychotherapeutischer Behandlungen – verbunden mit verbesserten Arbeitsbedingungen für Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und für die an der Versorgung seelisch Kranker beteiligten Hausärzte.
Psychosomatik ist die Lehre der Wechselwirkung von Körper und Seele. Bei der psychosomatischen Grundversorgung geht es darum, zu erkennen, dass bei einer komplexen Krankheit auch psychische Faktoren eine ursächliche Rolle spielen. Durch die zusätzliche Erfassung von psychosozialen Hintergründen, können diese bereits im frühen Stadium der Behandlung erkannt und bei einer ganzheitlichen Therapie berücksichtigt werden. Die Behandlung kann beispielsweise von hausärztlichen oder internistischen Praxen abgedeckt werden, aber nur, wenn der behandelnde Arzt eine entsprechende Zusatzqualifikation hat.
Podcast: Stabile Seitenlage für die Seele
Mit Greta Schuler:
Wenn wir Zeugen eines Unfalls werden, bei dem sich ein Mensch verletzt, wissen wir in der Regel was wir tun müssen, um zu helfen. Die meisten von uns haben einen Erste-Hilfe-Kurs besucht. Falls nicht, wählen wir die 112. Was passiert aber wenn ein Mensch in unserem Umfeld seelisch erkrankt? Wie leisten wir hier Erste-Hilfe? VdK-Patientenberaterin Greta Schuler klärt uns darüber auf, welche Angebote es gibt, wenn es um die Erste-Hilfe für die Seele geht und wie wir alle daran arbeiten können, mehr auf unsere Mitmenschen zu achten.
In jeder Ausgabe der VdK-Zeitung veröffentlichen wir einen Beratungsfall der VdK-Patientenberatung. Lesen Sie hier, was die Anrufenden bewegt.
Britta Bühler
Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V.
E-Mail: b.buehler@vdk.de
Rebecca Schwarz
Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V.
Telefon: 00761 504 49-24
E-Mail: rebecca.schwarz@vdk.de
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