VdK-ZEITUNG

    Wenn das Gesundheitssystem krankt

    #ZTITEL{Wie stellen wir die lokale Krankenhausversorgung sicher?

    Eine Podiumsdiskussion des Sozialverbands VdK nimmt in Weil der Stadt die Zukunft der regionalen Gesundheitsversorgung ins Visier. Die Frage, um die es geht: Wie kann man sich unter dem ökomischen Druck in Zukunft aufstellen, ohne am Patientenwohl zu sparen? Die Veranstalter, die VdK Kreisverbände Böblingen, Calw und Leonberg, haben hierzu neben dem VdK-Ehrenvorsitzenden Roland Sing Mediziner, Landräte und einen AOK-Vertreter zur Diskussion geladen.

    Podiumsgäste in Weil der Stadt
    Auf dem Podium (v.l.n.r.): Jürgen Weber | Stellv. Geschäftsführer AOK-Bezirksdirektion Stuttgart-Böblingen, Prof. Dr. Hubert Mörk | Chefarzt im Klinikverbund Südwest, Roland Bernhard | Landrat Böblingen, Thomas K. Slotwinski | LKZ-Redaktionsleiter, Roland Sing | VdK-Ehrenpräsident, Landrat Calw | Helmut Riegger, Alexander Schmidtke | Geschäftsführer SüdWestKliniken, Dr. Thomas Strohschneider | Buchautor und Chefarzt. | © A. Pfennig

    Derzeit sorgen sie ständig für Schlagzeilen: Die scheinbar explodierenden Kosten in der Gesundheitsversorgung und das wachsende Defizit – auch in den Kliniken in der Region. Die Sorgen um eine drohende medizinische Unterversorgung durch Klinikschließungen treibt denn auch die Bevölkerung im Landkreis Böblingen um: Mehr als 130 Interessierte folgten am Mittwoch, 21. Juni 2023, der Einladung der drei VdK-Kreisverbände zur Podiumsdiskussion ins Klösterle.

    Mediziner und Buchautor Thomas Strohschneider | © Thomas Strohschneider

    Mediziner und Buchautor Thomas Strohschneider stimmt mit einem Faktencheck in die Thematik ein. Neben viel Kritik an der Lauterbachschen Gesundheitsreform hat er in seinem komprimierten Einführungsvortrag für das Publikum eine Erklärung für das Defizit in den Kassen: Das kaum mehr verständliche und oft am Patientenwohl vorbeigehende Abrechnungsmodell über Fallpauschalen und die Privatinvestoren, die vor allem auf Gewinne fixiert sind und einen enormen Preisdruck in der Kliniklandschaft ausüben.

    Darüber, dass sich in der aktuellen Situation dringend etwas ändern muss, sind sich bei der anschließenden Diskussion, die Thomas K. Slotwinski, Redaktionsleiter der Stuttgarter Zeitung moderiert, alle einig. „Uns brennt wirklich der Kittel!“, unterstreicht Landrat Roland Bernhard aus Böblingen die brenzlige Situation: Rund 52 Millionen Euro fehlen etwa allein beim Klinikverbund Südwest (KVSW), der in der Region sechs Häuser betreibt.

    Alexander Schmidke, KVSW-Geschäftsführer, rechnet sogar mit einem Anstieg der Kosten um weitere rund 20 Prozent durch Inflation, steigende Energiepreise und Tarifsteigerung. Schmidtke zitiert aus dem aktuellen Krankenhaus Rating Report, dass bis 2030 rund die Hälfte aller Kliniken insolvenzgefährdet seien. „Es wird zu einer Verdichtung, Konzentration, zu einer Spezialisierung kommen“, prognostiziert Schmidtke.

    Teilnehmer bei VdK-Veranstaltung in Weil der Stadt
    Die hohe Teilnehmerzahl spiegelte die Besorgnis der Bevölkerung wider. | © A. Pfennig

    In Sachen Finanzierung nehmen die Anwesenden insbesondere das Land in die Verantwortung. Der VdK-Ehrenvorsitzender Roland Sing macht klar, dass das Land seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkomme, 100 Prozent der Investitionskosten der Krankenhäuser zu finanzieren.

    Landrat Helmut Riegger aus Calw räumt ein, dass von den derzeit etwa eine Milliarde Euro an Investitionskosten, die der Landkreis und damit die Kommunen für die Sicherstellung der Klinikversorgung zahlen würde, „wenn wir Glück haben“ etwa 40 Prozent vom Land übernommen würden.

    Sing, der zwischen den beiden Landräten Riegger und Bernhard auf dem Podium sitzt, wird zu dem Thema sehr deutlich: „Wenn ich mit 65 Stundenkilometern durch Weil der Stadt fahre, bekomme ich einen Strafzettel, weil das gegen das Gesetz ist. Aber wenn das Ministerium Investitionskosten nicht bezahlt, dann scheuen wir uns, das laut zu sagen.“ Die Frage Slotwinskis, ob die Landkreise das Land nun verklagen würde, wiegelt Landrat Bernhard ab: Er halte nichts davon, gegen das Ministerium zu klagen, „Wir setzen auf Diplomatie“.

    Sing bringt mit der Forderung nach mehr Regionalität einen weiteren entscheidenden Anstoß in der Runde. So fordert er unter anderem, dass den bestehenden regionalen Gesundheitskonferenzen eine bedeutendere Rolle zukommen müsse. Sie seien in Reformprozessen zur Zukunft der deutschen Kliniken nicht wegzudenken, weil sie mit ihren Erfahrungen zu den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen vor Ort Entscheidendes beizutragen habe. Schmidtke ergänzt, dass zur Erhöhung der Entscheidungsgewalt ein regionales Budget für das Gesundheitssystem unbedingt erforderlich sei, damit die Versorgungssicherheit vor allem in der Fläche garantiert werden könne. Jürgen Weber, stellvertretender Geschäftsführer der AOK Baden-Württemberg, wird da sogar noch deutlicher und fordert die fehlenden Mittel vom Land. Auch appelliert er an Minister Lucha als Chef der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, sich für das Thema Regionalität stark zu machen und „mehr Kompetenzen vom Bund zurück an das Land und die Regionen“ zu holen.

    Der VdK-Ehrenvorsitzende macht in weiteren vier Punkten deutlich, was jetzt gefragt ist: Oberste Priorität habe, dass Reformen vom Patienten aus gedacht und eine medizinische Versorgung aus ganzheitlicher Perspektive gesehen werden müsse. Hinzu käme, dass der Fokus zukünftig verstärkt auf einer ambulanten Versorgung liegen und die stationäre Versorgung nachrangig gesehen werden solle, um notwendige Ziele zu erreichen. Qualität vor Quantität sollte der Maßstab sein – und demnach eine Spezialisierung von Kliniken vorangetrieben werden, neben der gleichzeitigen Sicherstellung der lokalen notfallmedizinischen Versorgung. Um die Bevölkerung aber mitzunehmen und Ängste zu vermeiden, sei es vor allem notwendig, für eine verständliche Aufklärung vor Ort zu sorgen, so Sing – und bekommt dafür prompt spontanen Applaus aus dem Publikum.

    Dr. Otto Koblinger, Kreisvorsitzender aus Leonberg, spricht auch für die beiden anderen Veranstalter Gerlinde Messer aus Böblingen und Helmut Dolderer aus Calw, wenn er sagt: „Für uns als Sozialverband VdK ist es nicht hinnehmbar, wenn unsere Mitglieder die ersten Opfer einer renditeorientierten Gesundheitspolitik werden!“

    Dass der Sozialverband VdK das Thema ernst nimmt, zeigt auch die geplante Großveranstaltung am 16. September in der Liederhalle: Unter dem Titel „Medizinische Versorgung in Baden-Württemberg – auch in Zukunft gut und für alle erreichbar?“ wird das Thema vertieft. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sind herzlich eingeladen zu Fachvorträgen, Podiumsdiskussion sowie einer Reha- und Gesundheitsausstellung.

    Die Veranstaltung ist kostenfrei, um Anmeldung wird gebeten.

    Mehr Infos und Anmeldung.

    Klösterle in Weil der Stadt
    Veranstaltungsort der Podiumsdiskussion am 21. Juni 2023 war das Klösterle in Weil der Stadt | © A. Pfennig

    Andrea Pfennig

    Schlagworte Krankenhausreform | Gesundheitsversorgung | Kliniken | Krankenhaus | Gesundheitsreform

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    Mann im Wohnzimmer mit Krücken und Halskrause
    © iStock

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    Britta Bühler
    Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V.
    E-Mail: b.buehler@vdk.de

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    Rebecca Schwarz
    Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V.
    Telefon: 00761 504 49-24
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