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Die außergewöhnlichen Coronazeiten verlangen außergewöhnliche Maßnahmen – gerade auch im Wahljahr 2021. Für den Sozialverband VdK Baden-Württemberg bedeutete dies, in Sachen Wahlkampf ebenfalls neue Wege zu beschreiten. Nach einer Studiodiskussion mit Politikern anlässlich der Landtagswahl im März, die im Livestream auf dem Youtube-Kanal des Landesverbands zu sehen war, hatte sich das Marketingteam um Silvija Eibel zur Bundestagswahl im September ein modifiziertes Veranstaltungsformat ausgedacht, was sich als sehr erfolgreich erwies.
Mehr als 30 Orts- und Kreisverbände führten für ihre Mitglieder und interessierte Menschen bunte Präsenzveranstaltungen samt Mitmachaktionen und gastronomischem Angebot durch. Dort – und an unzähligen PC-Bildschirmen zuhause – wurde pünktlich ab 17 Uhr der Live-Talk zwischen VdK-Landeschef Hans-Josef Hotz und der Journalistin Kimsy von Reischach, der ins Internet gestreamt wurde, aufmerksam verfolgt. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Wahlkampfdiskussionen stand beim VdK die Sozialpolitik mit ihren Kernthemen Pflege, Gesundheitswesen, Rente im Vordergrund. Dazu wurden die Kernaussagen der zuvor bei einer Studiodiskussion versammelten Politiker Dr. Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen), Monica Wüllner (CDU), Pascal Kober (FDP), Jessica Tatti (DIE LINKE) und Leni Breymaier (SPD) eingeblendet und von Hans-Josef Hotz teils aus VdK-Sicht kommentiert.
Um der Landesverbands-Wahlkampagne unter dem Motto „Wählen statt hoffen“ noch mehr Nachdruck zu verleihen, konnten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort oder zuhause mit „ihrer“ sozialpolitischen Kernforderung fotografieren lassen und diese eindrucksvolle Fotobotschaft gleich ins Internet hochladen – eine Aktion, die landesweit vielfach genutzt wurde. „Denn nur gemeinsam können wir zeigen, wie viele Menschen hinter diesen Forderungen stehen!“, hatte der VdK Baden-Württemberg zuvor an die Bürgerinnen und Bürger appelliert.
„Mit der heutigen Wahlveranstaltung sind wir auf der Höhe der Zeit“, begrüßte Landesvize Jürgen Neumeister mehr als 150 Personen beim gemeinsamen Event seines Kreisverbands Reutlingen mit dem Tübinger Kreisverband. In der Stefan-Hartmann-Halle in Hirschau waren auch die beiden Bundestagskandidatinnen Annette Widmann-Mauz (CDU) und Jessica Tatti (Die LINKE) präsent, um dem Publikum direkt vor Ort klarzumachen, was ihnen in der Sozialpolitik wichtig ist. MdB Widmann-Mauz, die seit Langem als Abgeordnete in Berlin ist, würdigte den VdK als wichtiges Sprachrohr für benachteiligte Menschen. „Wenn der VdK seine Stimme erhebt, bleibt das in Berlin nicht unerhört“, betonte sie. Zugleich verwies sie auf den CDU-Vorschlag, die Eigenanteile in der stationären Pflege auf 700 Euro zu begrenzen. Dieser Ansatz, der auf den bisherigen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zurückgeht, wurde später beim gestreamten Live-Talk von Hans-Josef Hotz als unzureichend kritisiert.
Der Landesvorsitzende machte dazu eine Beispielrechnung, die klar aufzeigte, dass die Heimbewohner nur eine Ersparnis von rund 65 Euro erwarten können. Hotz verwies in diesem Zusammenhang auf mehr als 27 000 Betroffene, die im Südwesten „Hilfe zur Pflege“ beantragen müssen. Einmal mehr plädierte er für eine Pflegevollversicherung, damit pflegebedürftige Menschen im Alter angesichts von derzeit durchschnittlich 2463 Euro Eigenanteilen Monat für Monat nicht zu Sozialhilfeempfängern abgestempelt werden. Er sprach sich für die sogenannte Bürgerversicherung bei der Pflege aus, denn die Trennung in private und soziale Pflegeversicherung sei historisch überholt und führe zu ungerechter Risikoverteilung.
Hans-Josef Hotz lenkte hier den Blick auf die mehr als 36 Milliarden Euro Rücklagen bei den Privaten trotz gleicher Leistungen. CDU-Politikerin Wüllner erteilte dagegen einer Zusammenlegung von privater und sozialer Pflegeversicherung eine Absage, unter anderem mit Blick auf verfassungsrechtliche Gründe. Gleichwohl könne man über eine Heranziehung weiterer Einkommensarten bei der Beitragsbemessung nachdenken, sagte sie. Auch FDP-Kollege Kober hält von einer Zusammenlegung nichts. Er rief dazu auf, „bei der Pflegepolitik in Jahrzehnten zu denken“. Er plädierte angesichts des Arbeitskräftemangels in der Pflege und der mit nur siebeneinhalb Jahren recht kurzen Verweildauer im Pflegeberuf für die Fachkräftezuwanderung einerseits und für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen andererseits.
Bundestagsabgeordnete Breymaier kritisierte die Akteure für das Scheitern des fast fertigen Pflege-Flächentarifvertrags. Für die SPD-Politikerin ist die Pflegebürgerversicherung ein wichtiges Ziel. Schnell brauche es eine Deckelung der Zuzahlungen, betonte sie und gab zugleich zu bedenken: „Hier ist kein Spielraum für Steuersenkungen für Superreiche.“ Ebenso sprachen sich Grünen-Politikerin Dr. Detzer und Jessica Tatti von den Linken für eine Verschmelzung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung aus, damit Pflege im Alter kein Armutsrisiko mehr sei, wie Sandra Detzer bekräftigte. Tatti, die sowohl im Studio als auch in der Halle in Hirschau mitwirkte, hob hervor: „Investitionen in den Sozialstaat sind immer wichtig.“ Die Politikerin aus Reutlingen riet den Anwesenden im Saal, sich darüber zu informieren, was die Parteien in den Zeiten zwischen den Wahlen für Pflege und Gesundheitswesen tun.
„Für uns ist entscheidend, dass die Daseins-Vorsorge durch die Politik gut organisiert ist“, sagte Hans-Josef Hotz mit Blick auf den Themenkomplex Fachärztemangel auf dem Land einerseits und Krankenhausschließungen andererseits. Hier sprach sich der VdK-Landeschef einmal mehr für den Aufbau von barrierefreien und gut erreichbaren medizinischen Versorgungszentren aus – ein wichtiger Punkt angesichts eines Bevölkerungsanteils von rund 60 Prozent, der im Südwesten auf dem Land lebt, wie Hotz ausführte. Solche Zentren könnten auch den geänderten Lebensentwürfen der heutigen Ärztegeneration entgegenkommen. Denn zu einer 60-/70-Stunden-Woche in einer Landarzt-Einzelpraxis sei kaum ein Arzt mehr bereit. Vielmehr gehe es heute auch im Arztberuf um Teilzeitmodelle und um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gab Hotz zu bedenken. In diesem Bereich herrschte denn auch Einvernehmen bei den an der Studiodiskussion beteiligten Politikern.
Umso kontroverser wurde der Rentenkomplex diskutiert. Hier stellte Hotz klar, dass für den Sozialverband VdK eine Anhebung des Rentenalters auf 70 Jahre tabu ist. „Das wäre ein reines Rentenkürzungsprogramm“, betonte er mit Blick auf die Rentenabschläge. Schließlich schafften es schon heute viele Berufstätigte nicht, bis zum 67. Lebensjahr durchzuhalten. Bundestagskandidatin Tatti ergänzte, dass jeder Fünfte bereits vor dem 69. Lebensjahr sterbe. Der Landesvorsitzende erinnerte auch an die 10,8 Prozent Rentenabschlag, die Bezieher von Erwerbsminderungsrente lebenslang hinnehmen müssen – ein weiteres hohes Armutsrisiko, weshalb der VdK seit Langem an die Politik appelliert, diese Abschläge zu streichen.
Sodann plädierte Hans-Josef Hotz leidenschaftlich für eine Bürgerversicherung bei der Rente. In die „Rentenversicherung für alle“ müssten alle Erwerbstätigen, alle Beamten, Abgeordneten und auch alle Selbstständigen einzahlen. Es gelte die gesetzliche Rente und das Vertrauen in die gesetzliche Rente zu stärken und das Rentenniveau auf mindestens 50 Prozent anzuheben, bekräftigte er. In seinem Schlusswort machte Hotz unmissverständlich klar: „Die Sozialpolitik ist ein ganz wichtiger Punkt! Viele Menschen sind davon betroffen.“
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