1. Februar 2022
    EINFACHE SPRACHE

    Wir müssen gut miteinander umgehen!

    Ein Interview mit Simone Fischer, der neuen Beauftragten der Landes-Regierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen

    Seit dem 1. Oktober gibt es in Baden-Württemberg eine neue Landes-Behindertenbeauftragte. Sie heißt Simone Fischer und ist von Beruf Diplom-Betriebswirtin. Ihre Vorgängerin heißt Stephanie Aeffner. Frau Aeffner war von 2016 bis 2021 Landes-Behindertenbeauftragte. Im September 2021 wurde sie in den Deutschen Bundestag gewählt. Sie ist Mitglied der Partei Bündnis90/Die Grünen.

    Portrait Simone Fischer
    Simone Fischer, seit 1. Oktober 2021 Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung | © Axel Dressel

    Landes-Behindertenbeauftragte/ Bundes-Behindertenbeauftragte:
    Behindertenbeauftragte kümmern sich darum, dass Menschen mit Behinderungen ihr Recht bekommen. Auch können sich die Menschen mit Behinderung hier beschweren. Die Beauftragten kümmern sich außerdem darum, dass Hilfe, die Menschen mit Behinderungen bekommen eine gute Qualität hat.
    Jedes Bundesland hat einen Landes-Behindertenbeauftragten. Es gibt aber auch einen Bundes-Behindertenbeauftragten. Dieser kümmert sich um Menschen mit Behinderung in ganz Deutschland.

    Simone Fischer ist kleinwüchsig. Drei Jahre lang hat sie als Beauftragte der Stadt Stuttgart für die Belange von Menschen mit Behinderung gearbeitet. Sie 42 Jahre alt und lebt seit 2003 in Stuttgart. Geboren wurde sie in Buchen im Odenwald, aufgewachsen ist sie in Osterburken.

    Manne Lucha ist Sozialminister von Baden-Württemberg. Er hat vorgeschlagen, dass Simone Fischer Landes-Behindertenbeauftragte wird. Mit diesem Interview möchten wir Frau Fischer vorstellen. Ein ähnliches Interview konnten Sie schon einmal im VdK-E-Magazin „SBVdirekt“ lesen. Dort war es etwas länger.

    Wenn Sie an Ihre Arbeit als Landesbehindertenbeauftragte denken:
    Was wünschen Sie sich? Welche Ziele und Hoffnungen haben Sie?

    Das Zusammenleben von Menschen ist inklusiv, wenn es für jeden Menschen in Ordnung ist, wie ein anderer Mensch lebt. Dabei ist es egal, wie groß der Unterschied zu seiner eigenen Art und Weise zu leben ist. Damit das möglich ist, brauchen die Menschen Barrierefreiheit und Inklusion. In der heutigen Zeit gehört das zu einem guten Zusammenleben dazu und hilft beispielsweise auch älteren Menschen und Familien.

    Barrierefreiheit:
    Barrierefreiheit bedeutet, dass:
    • Häuser
    • Plätze an denen sich Menschen treffen
    • Arbeitsplätze
    • Wohnungen
    • Busse und Bahnen
    • Dinge die Menschen zum Leben brauchen
    • und vieles mehr

    so gebaut sind, dass jeder Mensch sie ohne Hilfe nutzen kann.

    Inklusion:
    Alle Menschen können überall mitmachen. Kein Mensch ist ausgeschlossen.

    Dafür brauchen wir gute Gesetze, die das möglich machen. Wir brauchen aber auch Menschen mit und ohne Behinderung, die dabei helfen, dass ein gutes Zusammenleben ohne Barrieren möglich ist. Menschen mit Behinderung selbst brauchen:

    • mehr Möglichkeiten mitzumachen
    • Die Möglichkeiten zu wählen was sie machen möchten ohne zu hören, dass das nicht geht, weil sie eine Behinderung haben

    Außerdem brauchen sie die Möglichkeit genauso lernen, arbeiten, gesund leben zu dürfen wie Menschen ohne Behinderung. Das gilt für das Wohnen, die Freizeit, den Alltag und die Art und Weise wie wir miteinander umgehen.

    Warum kümmern Sie sich um diese schwierige Aufgabe?
    Bei allem was wir tun, um gut miteinander zu leben, müssen wir immer daran denken: Wie können alle Menschen mit und ohne Behinderung mitmachen?
    Das, was sich Menschen mit Behinderung vorstellen und wünschen, ist für mich ganz besonders wichtig. Wenn wir etwas neu planen, müssen wir daran als erstes denken und darauf aufmerksam machen. Ich möchte dabei mithelfen, dass das dann auch in den Gesetzen steht. Das gilt nicht nur für neue Gesetze. Auch bei Gesetzen, die es schon länger gibt, müssen wir darauf achten, dass sie so umgesetzt werden. Damit Menschen mit und ohne Behinderung gut zusammenleben können, müssen alle Menschen gerecht behandelt werden. Alle müssen die gleichen Möglichkeiten haben zu wählen, wie sie leben wollen.

    Haben Sie durch Ihre Behinderung Vorteile oder Nachteile in Ihrem Beruf als Landes-Behindertenbeauftragte?
    Meine Behinderung hilft mir dabei, mit Menschen in einer ähnlichen Situation schneller in Kontakt zu kommen. Ich habe durch mein eigenes Leben und meinen Beruf viele Erfahrungen gemacht. Diese Erfahrungen helfen mir dabei zu verstehen, wann andere Menschen in Schwierigkeiten sind, weil sie eine Behinderung haben. Außerdem kenne ich die Gesetze und weiß, wie ich etwas erreichen kann. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Mensch ohne Behinderung schneller versteht, um was es geht, wenn ich ihm zeige, wo die Barrieren sind.

    Deutschland hat 2009 UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben. Inklusion bedeutet, dass alle Menschen mit und ohne Behinderung mitmachen können. In welchen Bereichen muss die Regierung noch etwas verbessern?
    Wir brauchen im Bereich Busse und Bahnen, in den Ämtern, in den Unternehmen oder auch im Bereich Computer und Internet die Möglichkeit, dass alle Menschen mitmachen können. Viele Menschen brauchen Barrierefreiheit ganz dringend, um im täglichen Leben zurecht zu kommen. Zum Beispiel um einzukaufen, in die Schule in ihrer Nähe zu gehen, um arbeiten zu können, um Sport zu machen oder ins Kino zu gehen. Für diese Menschen ist das wichtig und nicht nur einfach schön, es zu haben.

    Es ist nicht damit getan eine Rampe oder einen Aufzug einzubauen. Denn es gibt noch viele andere wichtige Dinge. Zum Beispiel brauchen Menschen,

    • die nichts sehen, Informationen, die sie hören oder fühlen können.
    • die nichts hören, brauchen Dolmetscher für Gebärdensprache.
    • die eine Lernbehinderung haben, Texte in leichter Sprache.

    Vieles können wir möglich machen, indem wir Technik einsetzen und nutzen oder etwas umbauen. Aber leider ist das noch nicht selbstverständlich.
    In besondere Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderungen eine Ausbildung machen, wohnen und arbeiten, gehen so viele Menschen wie noch nie vorher. Das ist nicht inklusiv. Es liegt daran, dass Menschen oft gar nicht wählen können, ob sie alleine leben wollen und mit Hilfe zuhause oder in Einrichtungen. Denn wenn jemand sich entscheidet allein zu leben, gibt es für ihn zurzeit kaum Möglichkeiten, Hilfe dafür zu bekommen. Menschen mit Behinderungen brauchen sehr viele unterschiedliche Dinge. Deshalb ist es wichtig, Menschen in ähnlicher Situation kennenzulernen, sich zu treffen und einander zu helfen.

    Was muss passieren, damit das Land Baden-Württemberg so viele Menschen mit Behinderung einstellt, wie es im Gesetz steht?
    Damit ein Mensch selbst bestimmen kann, wie er leben möchte, muss er sein Geld selbst verdienen können. Ich habe mitbekommen, dass die Mitarbeiter in der Verwaltung und der Politik sich sehr für dieses Thema interessieren. Es gab eine Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien, die sich darum kümmern, dass das möglich ist. Durch Corona konnten die Ergebnisse der Arbeitsgruppe nicht umgesetzt werden. Das Land Baden-Württemberg muss für Menschen mit Behinderung ein guter Arbeitgeber werden. Dafür gibt es bei der Verwaltung des Landes Baden-Württemberg verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel:

    • mehr Ausbildungen in Teilzeit. Das hilft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern so können alle Beruf und Familie besser miteinander verbinden.
    • Das Budget für Arbeit. Das bedeutet ein Mensch mit Behinderung bekommt pro Monat einen bestimmten Betrag, um dafür Hilfsmittel oder Assistenz bezahlen zu können, damit er seine Arbeit machen kann.
    • Arbeitsplätze, damit auch Menschen aus Werkstätten für behinderte Menschen oder anderen Einrichtungen beim Land Baden-Württemberg arbeiten können.

    Leider haben Menschen mit Behinderungen durch Corona noch mehr Schwierigkeiten, eine für sie passende Arbeit zu finden.

    Teilzeit:
    Die meisten Menschen, die angestellt sind, arbeiten ungefähr 38 Stunden in der Woche. Dann sagt man auch, die Menschen arbeiten in Vollzeit. Arbeitet jemand weniger als 38 Stunden in der Woche, sagt man, die Menschen arbeiten in Teilzeit.

    Auch Unternehmen stellen nicht so viele behinderte Menschen ein wie im Gesetz steht. Der VdK ist der Meinung, dass die Ausgleichs-Abgabe höher sein soll. Sind Sie der gleichen Meinung?
    Es gibt viele Möglichkeiten, Menschen mit Behinderung bei der Arbeit durch Hilfsmittel oder Assistenz zu helfen. Trotzdem bekommen sie schlechter Arbeit als Menschen ohne Behinderung. Deshalb gibt es auch mehr Arbeitslose bei den Menschen mit Behinderung. Außerdem sind Menschen mit Behinderung auch länger arbeitslos. Zu diesem Thema gibt es ein Schreiben von allen Landes-Behindertenbeauftragten und dem Bundes-Behindertenbeauftragten: In dem Schreiben fordern wir, dass die neue Regierung jede der drei Stufen der Ausgleichs-Abgabe um 20

    Ausgleichsabgabe:
    Alle Arbeitgeber müssen mindestens 5Die Strafgebühr, die ein Arbeitgeber zahlt, können Sie so ausrechnen:
    Beschäftigt der Arbeitgeber zwischen 3 und 5 Prozent Menschen mit Behinderung, zahlt er 140 Euro für jeden

    • Arbeitsplatz, an dem kein Mensch mit Behinderung arbeitet.
    • Beschäftigt der Arbeitgeber zwischen 2 und 3 Prozent Menschen mit Behinderung, zahlt er 245 Euro für jeden Arbeitsplatz, an dem kein Mensch mit Behinderung arbeitet.
    • Beschäftigt der Arbeitgeber unter 2 Prozent Menschen mit Behinderung, zahlt er 360 Euro für jeden Arbeitsplatz, an dem kein Mensch mit Behinderung arbeitet.

    Für Unternehmen, die entweder weniger als 40 oder weniger als 60 Arbeitnehmer haben, gibt es besondere Regeln.

    Baden-Württemberg kümmert sich schlecht um das Thema Inklusion, denn nicht überall bekommen Menschen mit Behinderung beim Lernen genug Hilfe. Das haben Wissenschaftler vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin herausgefunden. Woran liegt das? Und wie können wir das ändern?
    Jedes behinderte Kind hat das Recht in eine normale Schule zu gehen. Es ist egal wo es wohnt. Um das zu erreichen, müssen die Eltern eines behinderten Kindes oft sehr viel und lange kämpfen. Sie müssen sich überlegen,

    • ob sie ihr Kind in eine normale Schule schicken, die nicht weiß wie sie mit dem Kind umgehen soll.
    • oder ob sie es in eine Förderschule schicken. Da gibt es Lehrer, die sich mit Behinderung auskennen. Aber der Schulweg ist oft sehr lang. Und es sind dort ausschließlich Kinder mit Behinderung.

    Wirklich wählen kann ich nur, wenn es zwei Sachen gibt, die ich gut miteinander vergleichen kann. Es ist besser, nur kurze Schulwege zu haben. Das kostet auch weniger Geld und es ist besser für die Umwelt. Wenn wir es nicht schaffen, dass Menschen mit Behinderungen genauso leben können, wie Menschen ohne Behinderungen, dann teilen wir die Gesellschaft und trennen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung voneinander. Das macht einsam und tut uns allen nicht gut. Diese Erfahrung haben wir während Corona gemacht. Kinder mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam eine Schule besuchen.

    Noch immer sind Menschen mit Behinderung nicht oder sehr selten in Filmen, Werbung und Büchern zu sehen. Wie können wir das schaffen? Oder meinen Sie, es ist gar nicht wichtig, das zu schaffen?
    Es ist wichtig, dass wir Menschen mit Behinderung täglich sehen. Dadurch akzeptieren die Menschen sich besser. Es hilft den Menschen, dass sie das Gefühl haben: Es ist ganz normal, dass Menschen mit und ohne Behinderungen miteinander leben. Facebook, Twitter und andere soziale Medien, aber auch das Fernsehen, das Radio und Zeitungen sind wichtig. Dort haben wir die Möglichkeit zu zeigen, dass unsere Gesellschaft stark ist, wenn viele unterschiedliche Menschen in ihr leben. Um das zu erreichen, müssen wir darüber sprechen, was anders ist. Zum Beispiel die Unterschiede, die jeden einzelnen ausmachen, egal ob mit oder ohne Behinderung. Dazu müssen wir auch über das Thema Inklusion sprechen. Wir brauchen Vorbilder mit Behinderung. Das sind Menschen, die uns zeigen, was mit einer Behinderung alles möglich ist. Solche Vorbilder machen andere Menschen stark. Zum Beispiel der Arzt, der in einer Fernsehserie den Rollstuhl nutzt, die kleinwüchsige Moderatorin bei der Preisverleihung am Samstagabend, die Schauspielerin mit Lernschwierigkeiten zu einer Zeit, wenn viele Menschen vor dem Fernseher sitzen. In diesem Bereich müssen wir weitermachen.

    Wie wollen Sie sich für die Menschen mit Behinderung einsetzen, sodass alle es mitbekommen? Jetzt arbeiten Sie beim Sozialministerium. Könnten Sie freier entscheiden, wenn Sie beim Staatsministerium arbeiten würden?
    Das Gesetzt sagt: Egal wo ich arbeite, ich kann immer frei entscheiden. Mir darf niemand sagen, was ich tun soll. Ich arbeite mit allen direkt zusammen. Meine Aufgabe als Landes-Behindertenbeauftragte ist es, zu beraten und zu empfehlen, was zu tun ist. Aber ich kann auch Dinge fordern. Besonders wichtig ist mir die Zusammenarbeit mit Menschen, die meine Arbeit und Themen unterstützen. Jetzt geht es darum, gut zu überlegen, mutig und klug zu sein und mit viel Einsatz sich für die Menschen mit Behinderung einzusetzen.

    Wie kann der VdK Baden-Württemberg Ihnen bei Ihrer Arbeit helfen?
    Barrierefreiheit, das Recht auf Selbstbestimmung und die Chance zur Teilhabe bekommen die Menschen leider immer noch nicht einfach so. Deshalb brauchen wir in Zukunft gute Gesetze. Wir brauchen aber auch Beschlüsse, wie wir aktuell gut weiterarbeiten. Außerdem brauchen wir Menschen, die unterstützen, was uns wichtig ist. Solche, die sich gemeinsam dafür einsetzen, dass die Situation besser wird. So erreichen wir mehr für den einzelnen Menschen mit Behinderung. Aber auch für alle Menschen insgesamt erreichen wir so mehr. Im VdK gibt es viele Menschen, die sich direkt dort einsetzen, wo es notwendig ist. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen sich auf den VdK verlassen können. Er kümmert sich darum, die Situation von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Es lohnt sich, dass wir eng zusammenarbeiten.

    Das Interview führte Nicole Ziese.
    Übersetzung in Einfache Sprache: Anja Lützen

    Das Interview führte Nicole Ziese

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