Springen Sie direkt:
Auch Armut, Pflege und Gesundheit prägten die Großveranstaltungen
Über 2000 Zuhörer in Wiesloch, Reutlingen, Offenburg und Stuttgart
Mit dem Aufruf an die gut 400 Mitglieder und Gäste im Mozartsaal „Gehen Sie wählen. Mischen Sie sich ein!“, beendete Vizepräsident Roland Sing am 11. September die VdK-Wahlveranstaltungsreihe mit vier Großveranstaltungen in der Liederhalle Stuttgart. Am Ende der zweistündigen Podiumsdiskussion richtete Sing ein dickes Lob an die anwesenden Politiker. Die hatten trotz aller politischen Gegensätze – und im Gegensatz zu mancher Fernsehdiskussion – sehr diszipliniert und sachlich über sozialpolitische Kernfragen diskutiert. Wie bei den drei vorangegangenen Wahlveranstaltungen in Wiesloch, Reutlingen und Offenburg hatte Moderator Axel Graser jeweils zu Beginn die Zuhörer über die Gewichtung der Themen vor Ort abstimmen lassen. Rente, Armut und Pflege interessierte die Zuhörer, die zu allen Veranstaltungsorten teils in Bussen angereist waren, ganz besonders.
Der Stuttgarter SWR4-Studioleiter griff in der Liederhalle gleich zum Auftakt die VdK-Forderung „Die gesetzliche Rente muss nach einem Arbeitsleben zum Leben reichen!“ auf. Damit konfrontiert, verwies der CDU-Bundestagsabgeordnete (MdB) Dr. Stefan Kaufmann auf den Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, auf den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit und die Einführung des Mindestlohns. Er bekannte, dass es hier durchaus noch Handlungsbedarf gebe. Auch über die Anhebung des Mindestlohns könne man reden, allerdings auf einen Betrag von „noch unter zehn Euro“, zog Dr. Kaufmann eine Grenze. Demgegenüber plädierte Linken-Vorsitzender Bernd Riexinger für 12,50 Euro, da man vom heutigen Mindestlohn in Höhe von 8,84 Euro in Baden-Württemberg nicht leben könne. „Mit diesem Mindestlohn geht man in die Altersarmut“, betonte der ehemalige ver.di-Chef im Lande. Der frühere FDP-MdB und erneute Kandidat Pascal Kober kann sich mit einem so hohen Mindestlohn nicht anfreunden. Er rief dazu auf, wieder mehr „Aufstiegsmobilität“ in der Gesellschaft zu ermöglichen. Außerdem warb er dafür, die Bildungsausgaben gerade auch auf den unteren Ebenen zu erhöhen. Für den Militärpfarrer, der auf der Reutlinger VdK-Wahlveranstaltung ebenfalls mitdiskutiert hatte, ist wichtig: „Die Menschen sollen auf eigenen Beinen stehen“.
SPD-MdB Ute Vogt bekam vom Moderator die VdK-Forderung nach Eindämmung der Minijobs sowie der Leih- und Zeitarbeit „zugeworfen“. Die frühere Staatssekretärin sprach sich durchaus selbstkritisch dafür aus, befristete Jobs zu reduzieren und keine sachgrundlosen Befristungen von Arbeitsverhältnissen mehr zuzulassen. Außerdem forderte Vogt einen „festen Zweiten Arbeitsmarkt“, um Menschen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar sind, eine Chance zu bieten. Grünen-Kandidatin Dr. Anna Christmann äußerte sich zur Kinderarmut, die der Sozialverband VdK schon 2008 in einer bundesweiten Kampagne thematisiert hatte und auch zur Bundestagswahl wieder aufgegriffen hat. Die Referentin aus dem Stuttgarter Wissenschaftsministerium hält hier dringend mehr Familienförderung für nötig. Dr. Christmann kritisierte in diesem Zusammenhang eine „falsche Gewichtung“. Statt über Steuerfreibeträge Besserverdienende zu bevorzugen, sei es besser, die Kinder direkt zu fördern, beispielsweise über einen „Kindergeldbonus“ in Höhe von 380 Euro und über sozial gestaffelte Kitagebühren, außerdem über die Abschaffung des Ehegattensplittings für neue Ehen, wie die Politikerin ausdrücklich betonte.
Moderator Graser verwies auf die sehr niedrigen Renten von Frauen, die im Durchschnitt in Baden-Württemberg noch nicht einmal 600 Euro erreichen. Damit konfrontiert hob der Mannheimer AfD-Kandidat Robert Schmidt hervor, dass Frauen oft selbst die Teilzeitbeschäftigung wählten. Grundsätzlich sei die AfD für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Schmidt nahm hier aber die Gewerkschaften in die Pflicht und er sieht den „Markt als „Korrektiv“.
Zu den vom Sozialverband VdK vor der Bundestagswahl 2017 erhobenen Forderungen gehört auch: „Die Mieten müssen bezahlbar werden. Pro Jahr müssen mindestens 150 000 Sozialwohnungen entstehen.“ Hierzu bekannte SPD-Politikerin Vogt, dass die Mietpreisbremse noch nicht so, wie gewünscht, funktioniere. Sie warb dafür, per Grundgesetzänderung dem Bund direkt die Förderung von Gemeinden beim Wohnungsbau zu ermöglichen. Riexinger monierte den Wegfall von 60 000 Wohnungen, die jährlich aus der Sozialbindung fielen. VdK-Landeschef Sing wurde dann deutlich und sagte mit Blick auf die nur zögerlich verabschiedeten Armuts- und Reichtumsberichte diverser Regierungen: „Geben Sie doch zu, dass es arme Leute gibt und tun Sie etwas dagegen!“ „Soziale Spaltung stoppen!“ lautet nicht ohne Grund der Titel der bundesweiten VdK-Kampagne zur Wahl.
Auf der VdK-Wahlgroßveranstaltung in Wiesloch hatte der VdK-Landesvize und frühere CDU-Landtagsabgeordnete Werner Raab in seiner Begrüßungsansprache beklagt: „Wir müssen uns nachhaltig mit diesem Thema auseinandersetzen“, und er merkte angesichts von rund 600 Zuhörern im Palatin an: „In Nordbaden gibt es wohl keine Politikverdrossenheit“. Dem VdK gehe es, so Raab, nicht um einen schnellen Erfolg. Vielmehr wolle sich der Sozialverband für tragfähige und langfristige Lösungen stark machen. Und Roland Sing ergänzte dort: „Gehen Sie mal in eine Sprechstunde des VdK, dann wissen Sie, was Armut bedeutet“. In Wiesloch forderte beispielsweise Linken-Politiker Heinrich Stürtz höhere Steuern von den Reichen und Superreichen.
Wie in Stuttgart brachte auch hier der FDP-Vertreter eine bessere Bildungspolitik ins Spiel. Dr. Jens Brandenburg plädierte zudem für geänderte gesetzliche Rahmenbedingungen, um so mehr Bautätigkeit anzuregen. Mit dem Satz „Jede Form von Armut ist eine Schande für ein so reiches Land“, kommentierte SPD-MdB und „Tafel“-Mitbegründer, Dr. Lars Castelucci, die Fakten, die Vizepräsident Sing auf dem Podium in Wiesloch und in den anderen Städten an Bundestagskandidaten und Parteivertreter richtete: „Drei Millionen von Armut betroffene Kinder, hohe Pflegekosten, die die Pflegebedürftigen und deren Partner in die Grundsicherung treiben, Geringverdiener und Menschen mit geringer Rente, die sich wegen der hohen Eigenanteile keinen festsitzenden Zahnersatz leisten können – überhaupt bei den Hilfsmitteln oft mit schlechter Qualität abgespeist werden“.
Auch in Offenburg prägten Armut und Rente die Podiumsdiskussion in der „Reithalle“ sehr. Dort forderte SPD-Bundestagsabgeordnete Elvira Drobinski-Weiß mehr bezahlbaren Wohnraum und – wie SPD-Kollegin Ute Vogt in Stuttgart – attestierte sie der Mietpreisbremse eine bislang ausbleibende Wirksamkeit. Ebenso beklagte sie die Praxis etlicher Unternehmen, weniger als den Mindestlohn zu zahlen. In Offenburg, wo rund 450 Zuhörer, darunter auch 30 gehörlose Menschen, teilgenommen hatten, gab der FDP-Vertreter Dr. Trutz-Ulrich Stephani ein Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft ab. Nur wenn die Wirtschaft wachse, würden arbeitslose Menschen wieder eine Chance haben, betonte er. Mit Blick auf die zunehmende soziale Spaltung in Bund und Land warb die Linken-Politikerin Karin Binder (MdB) für eine Kindergrundsicherung.
In allen vier VdK-Wahlveranstaltungen prägte auch die Gesundheitspolitik die Podiumsdiskussionen. Da kamen die unterschiedlich langen Termin-Wartezeiten von Kassenpatienten und Privatversicherten ebenfalls zur Sprache, wurde von manchen Vertretern auf dem Podium zugleich von „Zwei-Klassen-Medizin“ gesprochen. Die vom VdK geforderte Rückkehr zur Parität bei den Krankenkassenbeiträgen unterstützte beispielsweise der SPD-MdB Dr. Castelucci in Wiesloch. Denn grundsätzlich sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichberechtigt einzahlen. Zudem sah er in der vom Sozialverband VdK ebenfalls favorisierten Bürgerversicherung einen wichtigen Schritt, um eine Solidarität im Gesundheitswesen zu erreichen. FDP-Mann Dr. Brandenburg sprach sich im Palatin jedoch für die Beibehaltung des dualen Systems aus. FDP-Kollege Kober, der in Reutlingen und Stuttgart auf dem Podium dabei war, forderte allerdings die Abschaffung des Rehadeckels in der Rentenversicherung. Denn durch Rehabilitation müsse Pflege verhindert oder zumindest hinausgezögert werden. Die Bürgerversicherung, in die alle – egal ob Arbeitnehmer, Beamter oder Selbstständiger – einzahlen würden, verlangten dagegen die Vertreter von SPD, Grünen und von Die Linke.
Ebenso äußerten sich die Podiumsteilnehmer dieser Parteien in der Stadthalle Reutlingen vor 600 Teilnehmern, die ebenfalls vielfach per Bus von weither angereist waren. In Reutlingen und auf den anderen Veranstaltungen wies Landeschef Roland Sing auf die großen Finanzreserven der privaten Pflegeversicherung in Höhe von 30 Milliarden Euro hin. Das liege dort „auf Kante“, während bei den gesetzlich Versicherten Geld fehle und Pflegebedürftigkeit dort schnell zur Altersarmut führe. Gerade die hohen Eigenanteile bei der Pflege insbesondere im Heim wertete Sing als „doppelte Bestrafung“. „Hätten wir eine soziale Pflegeversicherung, müssten wir uns über die Finanzierung keine Gedanken machen“, stellte Roland Sing auch in Offenburg klar. Ebenso kritisierte er, dass der vom VdK zu Recht geforderte Ausbau der Pflegestützpunkte wieder mal von den Beitragszahlern und nicht von den Steuerzahlern geschultert werden soll.
Diese verfehlte, weil systemwidrige Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben war auch in den rentenpolitischen Diskussionen aller vier Veranstaltungen zur Sprache gekommen. Da hatte der Landesverbandsvorsitzende auch die Finanzierung des Aufbaus Ost und die vorgesehene Angleichung der Renten in Ost und West mit Mitteln der gesetzlichen Rentenversicherung kritisiert. Manche Vertreter der Politik sprachen sich denn auch für eine steuerfinanzierte Mütterrente aus, statt wie bisher über die systemwidrige Beitragsfinanzierung. Auf allen VdK-Wahlveranstaltungen hob Sing zudem die anderen rentenpolitischen VdK-Forderungen hervor und bekräftigte einmal mehr: „Die gesetzliche Rentenversicherung muss das Maß aller Dinge bleiben“. Der Vizepräsident beklagte, dass dies heute nicht mehr gelte. Und die von Seiten der FDP und der CDU vorgebrachten Hinweise, angesichts der demografischen Entwicklung mit mehr Rentnern und weniger Beitragszahlern, gerade auch auf die private Vorsorge zu setzen, konterte Roland Sing mit dem Hinweis: „Die private Vorsorge muss auch für Menschen mit geringen Einkommen zahlbar sein und darf nicht später bei der Grundsicherung abgezogen werden!“ Außerdem konterte er den mehr ausweichenden Politikervorschlag nach Schaffung einer Rentenkommission, um die Frage der Rentenniveauhöhe der Zukunft zu eruieren, mit der Bemerkung: „Wenn schon Rentenkommission, dann muss ein VdK-Vertreter mit rein!“
(Anmerkung der Redaktion: Wer die VdK-Wahlveranstaltungen nicht besuchen konnte, kann den Live-Mitschnitt aus der Stadthalle Reutlingen und aus der Liederhalle Stuttgart unter http://www.facebook.com/vdkbawue ,der VdK-Facebook-Seite, unter „Videos“ ansehen.)
Podiumsdiskussion in Stuttgart
Am Montag, 11. September 2017, 16.30 bis 18.30 Uhr, sprach Landeschef Sing die fünf sozialpolitischen VdK-Kernthemen in der Liederhalle Stuttgart an und diskutierte mit Robert Schmidt (AFD), MdB Dr. Stefan Kaufmann (CDU), mit Pascal Kober (FDP), Dr. Anna Christmann (GRÜNE), Bernd Riexinger (LINKE/Vorsitzender) und mit MdB Ute Vogt (SPD), Axel Graser (SWR4).
Podiumsdiskussion in Reutlingen mit Bundestagskandidaten anlässlich der Bundestagswahl am 24.09.2017.
(v.l.n.r.) Heike Hänsel (Die Linke), Beate Müller-Gemmeke (Grüne), Pascal Kober (FDP), Dr. Martin Rosemann (SPD), Heinz Wiese (CDU), Roland Sing (VdK), Axel Graser (SWR4).
Bildrechte auf der Seite "http://www.vdk.de//bawue/pages/aktuelles/73780/vdk-vizepraesident_und_landeschef_diskutierte_vdk-kernforderungen_mit_der_politik":
Liste der Bildrechte schließen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig, während andere uns helfen, unser Onlineangebot zu verbessern.