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„100 000 Euro hat eine alte Dame rausgerückt, an eine wildfremde Person“ – stand Anfang Februar in der Zeitung. Also mir könnte so was nicht passieren, oder doch?
Das Telefon läutet, im Display erscheint „unbekannt“. Ich hebe ab. Eine super freundliche Stimme sagt: „Hallo, rate mal, wer da ist?“ „Keine Ahnung, kennen wir uns vom VdK, vom Roten Kreuz, vom Sport?“ „Nein, Verwandtschaft!“ „Hm, mal überlegen, vielleicht meine Nichte Biene, aber die Stimme …?“, frage ich. „Stimmt das bin ich, allerdings ein bisschen erkältet. Schön, mal wieder mit dir zu plaudern“, sagt die Frau am Telefon. „Ja also, ich bin gerade in Stuttgart. Wie geht’s dir denn so?“ „Au ja Biene, du besuchst mich doch? Möchtest du auch bei mir übernachten?“, antworte ich hoch erfreut über die „schöne Überraschung“. „Ja gerne, wenn das bei dir geht“, antwortet die angebliche Nichte. „Na du kennst ja meine Wohnung“, fahre ich fort, immer noch nichts ahnend! „Ja gerne“, entgegnet „Biene“ und kommt jetzt zur Sache:
„Ich hab’ allerdings ein größeres Problem. Das muss aber unter uns bleiben. Ich muss bis morgen eine größere Summe bezahlen, kannst du mir eventuell was leihen?“ „Augenblick“, entgegne ich und eile zu meinem Portemonnaie. „50 Euro hab’ ich noch da, die kannst du haben. Würde das reichen?“ „Nein, leider nicht“, sagt die angebliche Nichte sofort. „Und wieviel brauchst du und wofür?“, frage ich nach. „Also weißt du, ich will mir eine schnuckelige Eigentumswohnung kaufen. Das war eine Versteigerung, und da sind natürlich noch mehr Interessenten.“ „In München?“ unterbrach ich sie und war erstaunt, dass sie das als Kindergärtnerin schon nach zwei Jahren schafft. „Ja, aber das Problem ist, wenn ich den Termin nicht einhalte, verliere ich 3500 Euro.“ „Und jetzt sag mir doch mal Biene, wie viel du nun tatsächlich geliehen haben willst“, hake ich nach. „Krieg’ keinen Schreck, 10 000 Euro!“, ist vom anderen Ende der Leitung zu vernehmen. „Also Biene, ich hab mein Geld fest angelegt. Erst im August werden 6000 Euro fällig“, antworte ich. Doch „Biene“ ist gar nicht um eine Antwort verlegen und sagt sofort: „Kannst du nicht was für mich kündigen? Oder vielleicht hast du auch irgendwas Wertvolles, Schmuck oder Goldbarren?“ „Eigentlich nicht, aber weißt du was Biene, vielleicht besprechen wir das mal mit Rudolf, der weiß ganz gut Bescheid. Das kann doch nicht sein, dass du so viel Geld verlierst“, suche ich nach einer Lösung für meine angebliche Nichte, immer noch nichts ahnend, was gerade passiert. „Nein, bitte auf gar keinen Fall mit Rudolf besprechen, das muss unbedingt unter uns bleiben“, entgegnet die Frau augenblicklich. „Du Biene, es tut mir wirklich leid, ich hätte dir sehr gerne geholfen“, betone ich. Und „Biene“ bedankt sich artig für meinen Versuch zu helfen.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, ich brauchte erstmal eine Tasse Kaffee. Und dann kam es mir blitzartig: Das war ja gar nicht meine Nichte Biene gewesen! Und ich hatte wohl eine viertel Stunde lang mit der fremden Frau vertraulich telefoniert, ohne es zu bemerken! Wie sie das wohl angestellt hätte mit dem gemeinsamen Besuch der Bank. Oder wäre da womöglich ein krimineller Helfer als Bote engagiert worden? Dann kam mir der Gedanke: „Beim nächsten Mal spiele ich mit, bis die Handschellen klicken.“ Jedenfalls war für mich jetzt klar, dass ich die Polizei über das Geschehene informieren muss.
Kriminalhauptkommissarin Kopp vom Dezernat 23 der Kriminalpolizei Stuttgart ist für diese Art von Kriminalität zuständig. Sie informierte mich darüber, dass es sich hier um kriminelle Gruppen aus Ost- und Südosteuropa handele. Die Täter kämen oft aus Polen oder der Türkei. „Da sitzen die ‚Enkel’, die akzent- und dialektfreies Deutsch sprechen. Sie rufen vom Ausland, von einer Art Call-Center an, weil sie dort von uns nicht erfasst werden können“, betonte die Kommissarin und verwies auf alte Telefonbücher, die die Täter nach altmodisch klingenden Vornamen absuchen würden. Zudem würden sie gezielt zu Zeiten anrufen, in denen Berufstätige üblicherweise nicht zuhause sind. So könnten sie die gesuchten älteren Menschen antreffen, hob Kopp hervor.
Trotz dieser häufigen Vorgehensweise der Kriminellen treffe es auch jüngere Menschen. So sei das jüngste Opfer 50 Jahre alt gewesen. Nach Angaben der Stuttgarter Kriminalpolizei komme auf ungefähr 30 vergebliche Anrufe ein erfolgreicher „Enkeltrick“. Da gebe es nicht nur die Geschichte mit der Eigentumswohnung, die nicht durch die Lappen gehen dürfe. Da werde auch erzählt, man habe bei einem Unfall ein Kind verletzt und komme ins Gefängnis, wenn man nicht eine bestimmte Summe als Kaution bezahle. Manchmal melde sich ein angeblicher Gerichtsvollzieher und kündige einen Gewinn von 200 000 Euro an, der aber nur ausbezahlt werde, wenn man 10 000 Euro Steuer im Voraus bezahle, schilderte mir die Kommissarin Kopp weitere Vorgehensweisen der Täter. Die Kripo wisse auch, in welchen Orten solche Telefonangriffe stattfänden. Denn es würden sich immer wieder Menschen melden, bei denen es wie bei mir gelaufen sei. Allerdings, so Kopp, würden die betroffenen älteren Menschen oftmals nichts sagen, wenn sie Geld an die Betrüger verloren hätten. Viele schämten sich, so dumm gewesen zu sein, erläuterte die Stuttgarter Kommissarin.
Sie schilderte auch die dreiste Vorgehensweise der Täter bei der Geldübergabe. Damit der Schwindel mit dem angeblichen Enkel, der „Nichte“ oder dem „Neffen“ nicht auffalle, werde die Geschichte vom Verwandten, der gerade beim Notar sei und nicht weg könne, weil ihm sonst die günstige Eigentumswohnung durch die Lappen ginge, aufgetischt. Daher würden von den Kriminellen gezielt „Boten des Notars“ entsandt, hob Kopp hervor. Und für diese Zwecke würden oft irgendwelche Typen engagiert, denen man einen kleinen Botenlohn verspreche. „Das sind natürlich kleine Fische, und es ist nicht möglich, über diese Personen an die Hintermänner zu gelangen“, schilderte mir die Polizistin die Problematik. Außerdem würden die kriminellen Anrufer nach ihrem „Enkel-Anruf“ bei den älteren Menschen durch erneute Anrufe überprüfen, ob vom gleichen Apparat womöglich wieder telefoniert und vielleicht die Polizei verständigt werde. Dann werde, so Kopp, sofort ein anderes Opfer gesucht. Die Kripo rät deshalb, den wichtigen Anruf bei der Polizei unter der allseits bekannten Polizeirufnummer 110 von einem anderen Telefon und am besten von einer anderen Person vornehmen zu lassen und selbst bei seinem Telefon zu bleiben. Das sei dann, laut Kriminalpolizei, die letzte Chance, möglichst viele Menschen über die aktuelle kriminelle Masche in einer Stadt oder Region zu informieren.
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