14. Februar 2013
    AKTUELLES

    "Wir brauchen in Deutschland einen Rentenkonsens"

    Wie schätzen Sie die aktuelle Rentendiskussion in der Bundesrepublik ein?

    Die aktuelle Rentendiskussion ist fehl am Platze. Wir brauchen in Deutschland ein Rentenkonsens, so wie früher, zwischen allen Parteien. Das, was momentan in der CDU und in der SPD diskutiert wird über Zuschussrenten, ist Makulatur. Aus meiner Sicht sind das Inszenierungen vor dem Volk, irgendetwas zu tun, was aber nicht Hand und Fuß hat.

    Warum Makulatur?

    Weil die eigentliche Problematik wesentlich größer ist als von der Regierung eingeschätzt. Wir hatten bis 1992 eine Rente nach Mindesteinkommen. Das wäre heute ein sehr gutes Instrument. Man hat es abgeschafft, weil es kaum noch einen Niedriglohnfaktor gab. Jetzt ist der Niedriglohnsektor wieder massivst gestiegen.

    Sie meinen Makulatur, weil viel zu wenig ist, was jetzt angedacht wird?

    Das, was angedacht wird, ist falsch, weil es momentan wenig Leute betrifft. Wenn die Zuschussrente (beziehungsweise Lebensleistungsrente) so kommt, wie sie heute auf dem Tisch liegt, würde sie 2013, nur 50 000 Menschen betreffen. Aber wir haben bei den Rentnern eine Altersarmut, die ist wesentlich größer: rund 400 000 haben schon Grundsicherung beantragt und weitere 600 000 der 20 Millionen Rentner – wir schätzen den Bedarf auf eine Million Menschen – benötigen mindestens einen Zuschuss, aber die stellen aus Scham keinen Antrag auf Grundsicherung.

    Und sie würden von diesen Rentenvorschlägen nicht betroffen sein, weil sie nicht genug Versicherungsjahre haben.

    Ja. Die Voraussetzungen für die Rente sind schon erheblich, weil man 35 Versicherungsjahre haben muss, später bis zu 45 Jahre. Und es muss auch privat vorgesorgt werden, um überhaupt in den Genuss einer Zuschussrente kommen zu können. Das Klientel, das es betreffen sollte, wird nicht erreicht. Weil jemand, der seit Jahren Hartz IV bezieht, nicht privat vorsorgen kann. Der hat gar kein Geld dazu.

    Wie geht es Ihren Leuten, für die Sie Politik machen, für die Sie arbeiten, in all diesen Rentendiskussionen?

    Ein Großteil der Bürger hat eine sehr geringe Rente. Ich hatte in den 25 Jahren, in denen ich Rentenberatung mache, selten Leute, die mehr als 2000 Euro Rente haben. Der größte Teil bewegt sich bei den Frauen zwischen 400 und 700 Euro und bei den Männern zwischen 750 und 1150 Euro. Davon kann man in der Regel keine großen Sprünge machen.

    Sie sind vor ein paar Jahren aus der SPD ausgetreten.

    Korrekt. Ich war 24 Jahre in der SPD. Nachdem der Müntefering die Rente mit 67 eingeführt hat, war das Maß voll. Das Maß war schon ein bisschen voll nach Schröder und der ganzen Hartz-IV-Gesetzgebung. Der Weg war schon richtig. Aber das, was handwerklich gemacht wurde, war Pfusch.

    Welche handwerklichen Fehler?

    Man hätte sicherlich das Arbeitslosengeld II, den Übergangszeitraum, besser gestalten können. Aus heutiger Sicht sieht man, der Weg war richtig, aber die Ausgestaltung ist verkehrt. Wenn heute ein 50-Jähriger arbeitslos wird, bekommt er maximal zwölf Monate Arbeitslosengeld und dann Hartz IV. Und das kann es nicht sein.

    Sie hätten einen längeren Zeitraum gewählt?

    Man hat ihn ja dann danach geändert, die 58-Jährigen bekommen wieder die 24 Monate. In der Regel findet heute ein 50-Jähriger nicht innerhalb von zwölf Monaten wieder eine neue Tätigkeit. Wir haben die Rente mit 67 eingeführt, obwohl wir wissen, dass die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen in Deutschland nur bei zirka 25 Prozent liegt. In den skandinavischen Ländern liegt die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen bei 80 Prozent. Das heißt, wir in Deutschland verzichten freiwillig auf das Know-how und auf das Können und die Erfahrung der Älteren.

    Lange Zeit war ja die Arbeitsmarktpolitik bestimmt von den Vorruhestandsregelungen, damit die Arbeitsplätze frei werden für die Jüngeren.

    Die Vorruhestandsregelungen waren der falsche Weg. Das mussten viele Firmen lernen. Wenn zu viele Alte aus einer Abteilung gegangen sind, gab es in diesen Abteilungen Qualitätsprobleme. Weil das Know-how weg war und die Jungen waren noch nicht so weit, um das alles eins zu eins zu übernehmen.

    Erreichen Sie, erreicht der VdK die Politik noch?

    Ja. Sie hört zu. Aber was sie letztendlich entscheidet, ist etwas ganz anderes. Konkret: Wir haben im März 2012 das Konzept von Frau von der Leyen erhalten, wie alle anderen Verbände auch. Wir haben diskutiert und gesagt, das muss man ablehnen, das hat keinen Wert, so wie sich das damals gestaltet hat. Aber die Frau von der Leyen ist leider nicht ganz so zugänglich.

    Wir haben auch Armut in unserem reichen Land.

    Ja, wir haben leider viele Arme. Aber dass sich da jetzt eine Entwicklung auftut, dass es Streitereien gibt zwischen den Generationen, das erkenne ich noch nicht. Aber es sollte halt etwas geschehen, um den Ausgleich der Generationen besser zu gestalten.

    Wie hoch müsste die Mindestrente sein?

    Die persönliche Mindestrente sollte im Prinzip schon um die 1000 Euro sein. Damit kann man einigermaßen leben. Die Bürger müssen ja in der Regel Miete bezahlen, Strom, Wasser und so weiter. Die Faktoren sind schon enorm. Und die Lebenshaltungskosten steigen. Wenn man in den letzten zehn Jahren allein die Inflation betrachtet, haben die Rentner neun Prozent verloren. Normalerweise sollte ein Plus da sein.
    Das Interview mit dem VdK-Kreisvorsitzenden von Aalen, Landesverbandsobmann der Schwerbehinderten-Vertrauenspersonen, Rentenberater und ehrenamtlichen Sozialrichter am Bundessozialgericht (BSG), Ronald Weinschenk, führte der Chefredakteur der Schwäbischen Post, Dr. Rainer Wiese. Wir veröffentlichen es leicht gekürzt.

    Datenschutzeinstellungen

    Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig, während andere uns helfen, unser Onlineangebot zu verbessern.

    • Notwendig
    • Externe Medien
    Erweitert

    Hier finden Sie eine Übersicht über alle verwendeten Cookies in externen Medien. Sie können Ihre Zustimmung für bestimmte Cookies auswählen.