Sozialverband VdK Baden-Württemberg - Ehrenamt im VdK
Url dieser Seite: http://vdk.de/bawue-marketing/ID222227
Sie befinden sich hier:

„Ich war einer der ersten Heimkehrer mit Kriegsversehrtheit“

Erwin Geier (95) und Daniela Antoni (39) sind beide Mitglieder im Sozialverband VdK. Geier ist Gründungsmitglied des VdK-Ortsverbands Külsheim und Antoni ein junges Mitglied im VdK-Ortsverband Grünsfeld. Zum 70-jährigen Bestehen des Kreisverbands Tauberbischofsheim haben wir mit beiden gesprochen.

Erwin Geier erzählt von seinen Erinnerungen.

"Wenn Sie mit 20 Jahren als Invalider aus dem Kriege kommen, prägt sie das, so wie die anderen jungen VdKler damals auch."© VdK

Wir sitzen bei Erwin Geier im Wohnzimmer am Esstisch in seinem Haus in Külsheim. Vor ihm ist die September-Ausgabe der VdK-Zeitung aufgeschlagen.

VdK-Zeitung: Herr Geier, Sie lesen gerade unsere Mitgliederzeitung. Da ist der Nachruf auf den verstorbenen Ehrenpräsidenten Walter Hirrlinger links zu sehen und rechts steht ein Kommentar der aktuellen Präsidentin des VdK Deutschlands, Verena Bentele. Hirrlinger verstarb vor kurzem mit 92 Jahren, Frau Bentele ist 38 Jahre. In ähnlicher Konstellation sitzen wir heuet auch hier – Sie als Gründungsmitglied des VdK Külsheim mit 92 Jahren und Frau Antoni als 39-jähriges VdK-Mitglied.

Erwin Geier: Ja, da haben Sie recht. Ich habe mit fünf anderen hier in Külsheim den Ortsverband des VdK gegründet. Ich war einer der ersten, die mit Kriegsverletzung heimkehrten. Mit 17 Jahren wurde ich zum Krieg eingezogen. Um genau zu sein im Februar 1941. Sie können sich gar nicht vorstellen, was das damals bedeutete. Mit 17 aus dem Haus und dann weit weg nach Dessau zur viermonatigen Grundausbildung beim Militär. Ich war vorher ja nur ein oder zwei Mal bei meinen Tanten in Mannheim oder Heidelberg. Tja, dann ging es als Panzerfahrer nach Russland! Und am 05. Juli 1943 war Sense. Dann war ich ein Kriegsbeschädigter, Schwerbehinderter und gerade 20 Jahren jung. Seither bin ich auf Krücken angewiesen. Bis ich wieder zu Hause war, dauerte es aber noch bis zum Winter 1946.
(Anmerkung der Redaktion: Erwin Geier erzählt von seinem persönlichen Kriegsende, wie er als Panzerfahrer in Russland zum Invaliden geschossen wurde und der Odyssee wieder nach Hause zu kommen: Vom Lazarette in Gera (Thüringen), über Würzburg (Bayern) bis Bad Mergentheim, wo er schließlich operiert wird.)
Geier: In Mergentheim haben sie mir Knochen- und Granatsplitter aus dem Bein geholt. Und dann? Ich war 20 und stand vor dem Nichts! Mein angestrebter Beruf in der Landwirtschaft, Gutsverwalter zu werden, konnte ich an den Nagel hängen. Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich machen sollte. Ich lag also meinen Eltern bis 1947 auf der Tasche. Wir hatten unsere Felder und damit zum Glück auch zu Essen. Wissen Sie, das Staatswesen war nicht so geregelt wie sie es heute kennen. Sozialhilfe gab es so wie heute noch nicht. Außer mir kamen ja auch andere Kriegsversehrte zurück. Und da haben wir uns getroffen, besprochen und sind aufeinander zugegangen. Der damalige VdK-Kreisvorsitzende von Tauberbischofsheim hat mich ermutigt, in Külsheim den VdK aufzubauen. Damals gründete ich mit fünf anderen den Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner. Das heutige „VdK“ im Namen des Sozialverbands steht für unsere persönliche Geschichte.

VdK-Zeitung: Was haben Sie zu Beginn im VdK gemacht?

Geier: Wissen Sie, wir haben uns erst einmal ausgetauscht. Wenn Sie mit 20 Jahren als Invalider aus dem Kriege kommen, prägt sie das, so wie die anderen jungen VdKler damals auch. Dann haben wir uns in Eigenregie weitergebildet. Da hat mir niemand geholfen! Ich habe viel im Heimstudium zu unseren Rechten und Ansprüchen gelesen. Wie kommen wir, die Kriegsversehrten zu Unterstützung, wie können wir den Kriegshinterbliebenen, den Witwen helfen. Parallel musste ich mir ja auch noch Arbeit suchen. Aber wenn eine Firma gehört hat, dass ich 100 Prozent kriegsbeschädigt war, hieß es: „Den können wir nicht gebrauchen.“
(Anmerkung der Redaktion: Geier schafft dennoch den Wiedereinstieg ins Berufsleben. In der aus Thüringen nach Wertheim übersiedelten Glasindustrie lernt er Glasapparat- und Brandschleifer. Bis zum Ende seines Berufslebens hat er sich bei seiner Firma zum Abteilungsleiter in der Schleiferei hochgearbeitet.)
Geier: Bei mir gab es keinen Samstag oder Sonntag. Meine Mutter hat immer gesagt: „Erwin, wann hörst Du denn mit diesem VdK auf. Wir können sonntags nicht mal in Ruhe zu Mittagessen, da sitzen schon drei, vier Leute auf der Treppe draußen und warten, dass Du fertig wirst!

Daniela Antoni: Wieso kamen die Leute denn zu Ihnen nach Hause?

Geier: Frau Antoni, es gab damals noch keine VdK-Beratungsstelle, wie das heute der Fall ist. Und wir hatten kein Telefon, um einen Termin zu vereinbaren. Also kamen sie auf gut Glück, eben auch zum Ärgernis meiner Mutter um die Mittagszeit (lacht). Wenn ich für eine Witwe zum Beispiel was bei einem Amt in Erfahrung bringen wollte, dann musste ich zum öffentlichen Münzfernsprecher gehen. Und das hat dann eben auch immer Geld gekostet, das man erst mal aufbringen musste.

VdK-Zeitung: Frau Antoni, Sie sind seit gut vier Jahre im heutigen Sozialverband VdK Mitglied. Warum sind Sie eingetreten?

Antoni: Ich habe den Sozialverband über die Ausflüge kennengelernt. Ich komme ursprünglich aus Norddeutschland und wenn man Kontakte finden will, ist der Sozialverband VdK eine gute Adresse mit seinen Angeboten, die günstig und familienfreundlich sind. Das war wichtig für mich, denn ich habe drei Kinder. Und im Fall der Fälle, wenn es mal ein Problem mit der Gesundheit, oder auch meiner Rente geht, habe ich die Sozialrechtsberatung in der Hinterhand. Herr Geier, ich war übrigens auch acht Jahre bei der Bundeswehr in Külsheim beim Panzerbataillon stationiert. Ich gehörte zu den ersten vier Frauen dort, die nach der Öffnung für Frauen 2001 angefangen haben. Und ich durfte auch Panzer fahren. Wenn ich Ihre Erzählungen von den Kriegserlebnissen höre, dann kann ich nur sagen: Es gibt auch heute noch Kriegsversehrte, die aus Afghanistan oder Mali zurückkommen. Ehemaligen Kameraden von mir.

„Wir haben für die Kriegsopferversorgung gekämpft“

Geier: Frau Antoni, da haben Sie sicher recht. Der Unterschied zu damals ist aber, dass es heute die Kriegsopferfürsorge und das Bundesversorgungsgesetz gibt, weil wir im VdK nach dem Krieg dafür gekämpft haben. Zu meiner Zeit war das anders. Wenn ich eine Witwe über den VdK einen Bericht aufgesetzt habe und sie damit beraten habe, bin ich vom Sozialamt gerügt worden, weil ich dem Schicksal der Frauen einen Wink gegeben habe. Ich solle die Leute doch nicht so im Detail aufklären, hieß es dann. Das wären Staatskosten, die ich verursache. Das war für das damalige Gefüge zu viel. Das soziale Bewusstsein war noch nicht so ausgereift wie heute.

Antoni: Ja, da haben Sie recht. Aber ich würde mir heute noch mehr soziales Bewusstsein wünschen. Zum Beispiel bei der Mütterrente. Wissen Sie, ich arbeite als Tagesmutter. Ich bekomme einen minimalen Bruttolohn pro Betreuungsstunde. Ich muss davon noch Steuern und Sozialabgaben zahlen. Wir Tagesmütter sind für den Staat gerade eine günstige Lösung bei fehlenden Krippenplätzen. Auch wenn mir mein Beruf sehr viel Spaß macht, sind 5,50 Euro brutto die Stunde schon happig und an meine Rente möchte ich gar nicht denken. Darum braucht man den Sozialverband VdK auch heute noch.

„Der VdK hat heute ein neues Gesicht“

Daniela Antoni

Daniela Antoni: "Ich würde mir heute noch mehr soziales Bewusstsein wünschen. Zum Beispiel bei der Mütterrente."© VdK

VdK-Zeitung: Frau Antoni spricht es an, Herr Geier. Der Sozialverband VdK steht heute für Fragen der Sozialpolitik allen Menschen offen. Wie empfinden Sie als Gründungsmitglied den Wandel? Von der Organisation von Kriegsversehrten und -hinterbliebenen zu einem modernen Sozialverband?

Geier: Der Übergang in den 1990er-Jahren war das Wesentliche, warum der VdK als Sozialverband so viel Ansehen erlangt hat. Er hat heute ein neues Gesicht, aber es geht doch um dieselbe Sache wie damals, als ich jung war. Ich gebe Ihnen noch mal ein Beispiel aus meinem Leben. Ich wollte beim Arbeitsamt nach dem Kriege umschulen. Die haben mich nur entgeistert angeschaut und gesagt: „Was wollen Sie denn hier? Mit Ihnen fangen wir nichts an, Sie können wir nicht vermitteln.“ Menschen mit Behinderung werden heute aber ganz anders aufgefangen und so etwas würde heute sicher nicht nochmal so geschehen.

Antoni: Ja, da haben Sie recht. Das sehe ich schon bei meinen Tageskindern. Kinder werden von ihren Eltern früh darauf hingewiesen, dass Menschen oder Kinder mit Behinderung ganz normal zu unserer Gesellschaft gehören. Und vor allem wird gesagt: Ihr Kinder dürft fragen. Es wird nicht mehr tabuisiert. Die Kinder von heute sind offener geworden.

Geier: Ganz genau! Kinder werden schon früh erzogen, auch sozial erzogen. Das war bei uns leider ganz anders. Gerade wir Kinder auf dem Land waren oft unwissend. Und wie ich schon sagte, vieles habe ich mir später im Eigenstudium angeeignet. Es gab keinen Antrieb durch die Eltern. Nicht, weil Sie es nicht wollten. Sie konnten sich Bildung schlichtweg nicht leisten. Ich habe es da ganz anders bei meinen Kindern gemacht. Ich habe Sie ermutigt, aus ihren Begabungen etwas zu machen. Das haben alle drei auch geschafft, worauf meine Frau und ich sehr stolz sind. Wir leben heute in einer Überflussgesellschaft. Und oft gibt es nur ein paar Privilegierte, die davon profitieren. Ich habe das selbst schmerzlich nach dem Krieg erlebt.

„Manchmal lösen sie Probleme an der Wirtshaustheke“

Antoni: Das meine ich auch. Wir brauchen den Sozialverband VdK aus Solidarität und für gerechte Verteilung.

Geier: Und was mir wichtig ist, dass wir uns mit den jungen Generationen verständigen. Ich sag Ihnen, Frau Antoni, man kann so viele Schulungen machen, wie man will. Der beste Austausch ist immer im persönlichen, manchmal lösen Sie Probleme an der Wirtshaustheke (lacht).

Antoni: Herr Geier, da kann ich Ihnen nur zustimmen. Man kann heute viele Freunde auf Facebook, also im Internet, haben, aber die wahren Probleme lösen wir immer noch im echten Leben und gern auch generationenübergreifend bei einem guten Gespräch wie heute! (lacht)

VdK-Zeitung: Herr Geier, Frau Antoni, danke für das Gespräch.

Mit den beiden Zeitzeugen sprach VdK-Mitarbeiterin Priya Bathe.

Bildrechte einblenden

Bildrechte auf der Seite "https://www.vdk.de/bawue-marketing/ID222227":

  1. Erwin Geier erzählt von seinen Erinnerungen. | © VdK
  2. Daniela Antoni | © VdK

Liste der Bildrechte schließen

Datenschutzeinstellungen

Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig, während andere uns helfen, unser Onlineangebot zu verbessern.

  • Notwendig
  • Externe Medien
Erweitert

Hier finden Sie eine Übersicht über alle verwendeten Cookies in externen Medien. Sie können Ihre Zustimmung für bestimmte Cookies auswählen.